Seite - 72 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
Bild der Seite - 72 -
Text der Seite - 72 -
| Sarajevoer Attentat und
Graz72
Balkankriege geben kann.11 Dieser Aufriss soll zeigen, dass die Grazer Zeitungen
im Juli 1914 auf einen weitgehend alten, über die Jahre hinweg erlernten Sprach-
haushalt zurückgriffen. Dazu zählten sozusagen die Begriffe „drohend“ und
„Kriegsgefahr“, die Wettermetaphorik, aber auch die Rede von der „Kriegsbegeis-
terung“. Bevor ich mich der Bedeutung des Begriffs „Kriegsbegeisterung“ in der
politischen Sprache von damals zuwende12, möchte ich auf weitere „Begriffsparal-
lelen“ hinweisen. Auch im Juli 1914 sprach man vielfach von der „Gefahr eines
Weltbrandes“13 und nicht selten griff man dabei auf das Adjektiv „drohend“ zu-
rück. In gewisser Hinsicht glich daher das journalistische Warten auf eine klärende
Entscheidung vonseiten Seiten der Politik und die damit einhergehende Ungewiss-
heit bezüglich des weiteren Verlaufs der Geschichte im Jahr 1912 dem Warten im
Juli 1914. Die geopolitische Situation war gewiss eine ganz andere. 1912 war es ein
Krieg auf dem „Balkan“ ohne Beteiligung Österreich-Ungarns. 1914 ging es von
Beginn an um einen Krieg zwischen Österreich-Ungarn und Serbien. Diesen „Ser-
bienkrieg“ stellte man sich als feldzugartige „Strafexpedition“ vor, sodass „mit Ser-
bien einmal gründlich aufgeräumt wird.“14 Die bürgerlichen Blätter forderten die-
sen Schritt seit Mitte Juli vehement, weil sie es im Allgemeinen nicht für möglich
hielten, dass aus diesem siegversprechenden „Serbienkrieg“ ein „Weltenbrand“
werden könnte.15 Zumindest brachten sie ein derartiges Zukunftsszenario nicht
schriftlich zum Ausdruck. Der sozialdemokratische Arbeiterwille war, was seine
Berichte über den von anderen geforderten „Serbienkrieg“ betrifft, viel bedachter,
weil er bereits wenige Tage nach dem Attentat von Sarajevo (28. Juni) von der
Möglichkeit eines auf Europa beschränkten „Weltkrieg[es]“16 sprach. Kehrt man
zurück zum Balkankrieg von 1912, so schrieben die Grazer Zeitungen dem öster-
reichisch-russischen Ultimatum an die „Balkanstaaten“ sowie dem Ultimatum der
„Balkanstaaten“ an die (osmanische) „Hohe Pforte“ von Oktober 1912 hohe Be-
deutung zu. Bereits Tage zuvor rätselten die Tageszeitungen mit Bezug auf eine
spärliche (und letztendlich verzerrende) Korrespondenznachrichtenlage über ein
mögliches Zustandekommen eines Ultimatums an das Osmanische Reich.17 Prin-
11 Zur Grazer Berichterstattung über die Balkankriege von 1912/13 liegt noch keine einschlägige
Arbeit vor.
12 Siehe das Kapitel: Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache.
13 In banger Erwartung, in: Arbeiterwille, 25.7.1914, 1.
14 Österreich und Serbien, in: Sonntagsbote, 26.7.1914, 1.
15 In den Zeitungen Deutschlands lässt sich kein publizistisches „Drängen“ auf den „Weltenbrand“
erkennen, vgl. nur: Verhey (2000).
16 Ausnützung des Attentats, in: Arbeiterwille, 30.6.1914, 1. Siehe auch das Kapitel: Intensive Juli-
polemik.
17 Ein bevorstehendes Ultimatum der Balkanstaaten, in: Arbeiterwille, 4.10.1912, 2.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453