Seite - 79 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache | 79
Wahlkampfveranstaltungen des christlichsozialen Milieus. Das vierte Zitat stammt
aus einem Artikel, der den Augsburger Katholikentag (August 1910) thematisierte:
• „Die Christlichsozialen schöpften auf dieser Versammlung neue Begeisterung für
die Agitation.“48
• „Am Schlusse der Versammlung hielt [... Karl Schwechler, Chefredakteur des
Volksblatts] eine begeisternde Ansprache an die Versammlung, die der Vorsit-
zende mit der Bitte um rege Werbearbeit schloß.“49
• „Samstag abends fand im Gasthause ‚Zum Sonnhammer‘ in der Körösistraße eine
zahlreich besuchte Vertrauensmännerversammlung des Bezirkes Geidorf statt,
die einen glänzenden Verlauf nahm und in welcher große Begeisterung zu [T]age
trat.“50
• „Das Aufleuchten am östlichen Himmel muß das Abendland mit flammender Be-
geisterung für das Missionswesen erfüllen. (Erneuter lebhafter Beifall.) [...] Die
Rede wurde vielfach von lebhaftem Beifall unterbrochen, der sich zum Schlusse
der Ausführungen zu einem wahren Sturm der Begeisterung steigerte.“51
Im August 1914 schrieben die Grazer Zeitungen nicht anders: „Unter großer Be-
geisterung wurde der Beschluß gefasst, an das allerhöchste Hoflager folgende Hul-
digungsdepesche abzusenden“.52 Überfliegt man die Zeitungen der Vorkriegsmo-
nate, könnte man meinen, dass jede politisch für gut geheißene Willensbildung
ein einziges Jubel- und Freudenereignis war. Dem war aber nicht so, wenn man
die damalige Bedeutung des Begriffs „Begeisterung“ berücksichtigt. Geht man den
obigen Textstellen nach, fällt auf, dass hier „Begeisterung“ nicht immer Freude
oder Jubel, sondern „bloß“ Zustimmung oder Hingabe meinte. Eine weitere Fa-
cette des Begriffs „Begeisterung“ war die (emotionale) Erregung, die – wie man
es von sämtlichen Parteiveranstaltungen her kennt – sich lautstark und gewalt-
tätig (im handgreiflichen und im verbalen Sinne) Raum verschaffen konnte. Die
damalige Bedeutung des Begriffs „Begeisterung“ hatte auch Auswirkungen auf
den Begriff „Kriegsbegeisterung“. Das Aufscheinen des Begriffs „Kriegsbegeiste-
rung“ zu Kriegsbeginn 1914 stellte mit Blick auf die Vorkriegsjahrzehnte daher
kein sprachliches Novum dar. Die Grazer Kriegsrhetorik von 1914 war daher we-
48 Dechant Franz Prisching in Friesach, in: Grazer Volksblatt, 6.5.1907 (Abendausgabe), 1.
49 4. Wahlkreis, in: Grazer Volksblatt, 8.6.1911, 2.
50 Aus dem zweiten Grazer Wahlbezirk, in: Grazer Volksblatt, 16.5.1911, 2.
51 Der Augsburger Katholikentag, in: Grazer Volksblatt, 24.8.1910, 2, 3.
52 Zur Eröffnung der Jubiläumsausstellung des Steiermärkischen Kunstgewerbevereines, in: Grazer
Tagblatt, 11.8.1914 (Abendausgabe), 2, 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453