Seite - 84 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Sarajevoer Attentat und
Graz84
oder eine „Vergewaltigung“ dar.63 Sie war lediglich „die natürliche Folge der bishe-
rigen Entwicklung“.64 Auch für das radikal deutschnationale Grazer Tagblatt stellte
die Auflösung „das natürliche Endglied der Entwicklungsreihe im Rathause seit der
Wahl des Sozialdemokraten [Alois] Ausobsky zum Vizebürgermeister“ dar.65 Die
Verantwortung haben gemäß diesem Artikel freilich jene zutragen, „die allen War-
nungen zum Trotze, und an solchen hat es wahrlich nicht gefehlt, starr und unent-
wegt auf den Bruch hinsteuerten.“Das katholische Volksblatt war dagegen mit der
Auflösung sichtlich unzufrieden und suchte die Schuldigen im deutschnationalen
sowie im sozialdemokratischen Milieu. Für das „Ehrenbuche der Landeshaupt-
stadt“ reichte die Auflösung – dem Volksblatt nach – nämlich nicht.66 Am schärfs-
ten kritisierte der Arbeiterwille die Auflösung des Gemeinderats. Die Schuld an
diesem „schweren Rechtsbruch“67 hatten seiner Ansicht nach die deutschnationalen
Gemeinderäte sowie der Statthalter Manfred von Clary und Aldringen. Ebenso
missfiel dem sozialdemokratischen Organ die Ernennung Anton Underrain von
Meysings zum (neuen und alten) Regierungskommissär. Die deutschnationale und
klerikal-konservative Presse trat dagegen dem Regierungskommissär prinzipiell
positiv gegenüber. Zum einen hätte er nach der Auflösung im Jahr 1912 die Arbeit
„glänzend“68 verrichtet und zum anderen gingen die Redaktionen davon aus, dass
Underrain von Meysing nur einen Monat lang im Amt sein würde. Ehrerweisungen
wie diese trafen beim Arbeiterwillen auf Unverständnis: „Dem Regierungskommis-
sär wird genauso wie vor zwei Jahren Weihrauch gestreut, daß es nur so qualmt.“69
Der 24. Juni, der Tag, an dem der Gemeinderat aufgelöst wurde, markiert auch den
Wahlauftakt. Die deutschnationale Tagespost kommentierte dies wie folgt: „Für die
bürgerlichen Kreise beginnen jetzt Tage ernster Arbeit.“70 Dementsprechend
machte sie geltend: „Das erfordert eine umfassende Aufklärungs- und Wahlarbeit,
das erfordert Disziplin und Opfersinn.“71 Grundsätzlich ging jede der Grazer Par-
teien inklusive ihrer Presseorgane engagiert ins Wahlkampfrennen. Die Zeitungs-
redaktionen beschränkten sich auf eine traditionelle Pauschalkritik am jeweiligen
63 Der Appell an die Wähler, in: Tagespost, 25.6.1914, 1.
64 Auflösen!, in: Tagespost, 24.6.1914, 1.
65 Vor dem Ende, in: Grazer Tagblatt, 24.6.1914, 1.
66 Die Auflösung des Gemeinderates, in: Grazer Volksblatt, 24.6.1914 (Abendausgabe), 1.
67 Die Bevölkerung protestiert gegen die Hilfe der Regierung für das Kapitalistenattentat an der
Gemeinde in einer Riesenversammlung, in: Arbeiterwille, 23.6.1914, 3.
68 Auflösen!, in: Tagespost, 24.6.1914, 1. Ferner der Artikel: Hofrat v. Underrain, in: Grazer Tag-
blatt, 24.6.1914 (Abendausgabe), 1.
69 Der Gewaltakt gegen den Grazer Gemeinderat, in: Arbeiterwille, 26.6.1914, 7.
70 Die Auflösung des Gemeinderates, in: Tagespost, 24.6.1914 (Abendausgabe), 1.
71 Ebd.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453