Seite - 87 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Grazer Gemeinderatswahlkampf | 87
Renner. Ebenso wurde Johann(es) Resel, Herausgeber des Arbeiterwillens, sowie
ein nicht namentlich genannter „Genosse der südslawischen Partei“83 als Redner
annonciert. Marie Koch, Leiterin des Frauensekretariats der steirischen Sozialde-
mokratie und eine führende Stimme der sozialdemokratischen Frauenorganisation,
sowie andere Politikerinnen schienen in den Vorankündigungen zu dem Parteifest
nicht auf. Das zweifache Jubiläum konnte – wie der 10. Internationale Sozialisten-
kongress in Wien (23. bis 29. August) oder der 21. Weltfriedenskongress in Wien
(15. bis 19.
September) – aufgrund des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs nicht statt-
finden.
Prinzipiell formulierte nur die Sozialdemokratie halbwegs konkrete lokalpo-
litische Wahlkampfthemen. Diese zirkulierten im Wesentlichen um drei Lokal-
geschehen, die mit ihrer traditionellen Kritik an der bürgerlichen Presse, an der
cisleithanischen Regierung sowie am Kapitalismus korrelierten. Das erste wie-
derkehrende Thema drehte sich um die Auflösung des Gemeinderats und bein-
haltete Attacken gegen Underrain, den Statthalter und gegen den Deutsch-frei-
heitlichen Bürgerklub (= „Kapitalistenmaffia“/„politische Maffia“).84 Das zweite
oszillierte um die Vorgangsweise der Betriebsleitungen der Schöckelbahn und die
damit verbundene Preispolitik der Gas- und Elektrizitätswerke (= „Bodenspeku-
lanten“/„Elektrizitätskartell“).85 Das Thema an sich war nicht neu, sondern stellte
seit dem Frühjahr 1914 einen weiteren Konfliktherd in der Grazer Lokalpolitik
dar. Das dritte und letzte Wahlkampfthema bezog sich auf einen von der bürger-
lichen Presse86 weitgehend unberücksichtigten Justizprozess. Auch dieses Thema
war nicht neu. Schon seit April 1914 war es speziell im Arbeiterwillen präsent.87
Vor Gericht stand ein Geselle, der seinem Geständnis zufolge ein Attentat auf den
„Arbeiterführer“ Michael Kosel verüben wollte. Am Ende erklärte ein Geschwo-
renengericht den Angeklagten („Mordgesellen“) für unschuldig, was der Arbeiter-
wille mit den Worten „Bürgervereinsjustiz“, „Schandurteil“ und „Mörderpresse“
(gemeint war hierbei die bürgerliche Grazer Presse) kommentierte.88
83 Das Parteijubiläum in Graz am 15. August 1914, in: Arbeiterwille, 27.6.1914, 1.
84 Die Zitate stammen aus: Die Bevölkerung protestiert gegen die Hilfe der Regierung für das Ka-
pitalistenattentat an der Gemeinde in einer Riesenversammlung, in: Arbeiterwille, 23.6.1914, 3;
Der Kampf des Großkapitals gegen die Grazer Bevölkerung, in: Arbeiterwille, 24.6.1914, 2.
85 Die Zitate entnahm ich: Herr Statthalter!, in: Arbeiterwille, 21.6.1914, 2.
86 Zum sozialdemokratischen Demonstrationsstreik, in: Grazer Tagblatt, 24.6.1914 (Abendaus-
gabe), 3.
87 Terrorismus!, in: Arbeiterwille, 14.4.1914 (Abendausgabe), 1.
88 Die Zitate finden sich in: Der Mordanschlag gegen Gen. Kosel, in: Arbeiterwille, 19.6.1914, 3;
Eine Kundgebung der Bevölkerung gegen die Gutheißung des Mordes an den politischen Gegner,
in: Arbeiterwille, 27.6.1914, 9.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453