Seite - 94 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Sarajevoer Attentat und
Graz94
lung (1910) rund ein Drittel der damaligen Bevölkerung des Herzogtums
Steiermark stellten. Auch im letzten Friedensjahr trug die deutschnationale Presse
mit ihrem gelebten Nationalchauvinismus zur Forcierung des steirischen Nationa-
litätenkonflikts bei. Insbesondere das radikal deutschnationale Tagblatt brachte
laufend Artikel, in denen es vor der „südslawischen“/„slowenischen“ Bedrohung
inner- und außerhalb der Steiermark warnte.118 Im Mai 1914 stand zum Beispiel
auf Seite eins: „Schon zu wiederholten-, ja unzähligenmalen [sic] hatten wir Gele-
genheit, auf die großserbischen Wühlereien in den südlichen Ländern unserer Mo-
narchie hinzuweisen und die staatsfeindlichen Bestrebungen der maßgebenden
Persönlichkeiten unter den Slowenen und Kroaten in Laibach und Agram, den
beiden geistigen Mittelpunkten dieser staatsumwälzenden Bewegung, nach allen
Seiten hin genügend klar und deutlich zu beleuchten und zu erörtern.“119 Diese an
vielen Ecken des Alltagslebens wahrgenommene Angst vor einem weiteren
Ausbreiten der „[p]anslawische[n] Irredenta“120 erhöhte sich seit Ende Juni 1914
erheblich. Man hatte förmlich Angst vor „dem klerikalen südslawischen Heuchler-
gezücht“ bzw. den „Slowenischklerikalen“.121 Die „sicherheitsgefährdenden“
Impulse lokalisierte die deutschnationale Presse daher nicht nur auf dem „Balkan“,
sondern auch diesseits der eigenen Kronlandgrenze. Die deutschnationalen Atta-
cken auf die slowenische („südslawische“) Nationalbewegung in der Steiermark
und in Kärnten (Pfarrer, Lehrpersonal, Vereine, Studierende, Publizistinnen und
Publizisten, Gastwirtinnen und Gastwirte) verschärften sich seit dem Attentat ex-
orbitant und sie blieben es auch nach Ausbruch des (Ersten) Weltkriegs. Am 4.
Au-
gust hieß es zum Beispiel im Tagblatt: „Die hiesigen slowenischen Führer haben in
den letzten Jahren ihre serbenfreundliche Gesinnung gar zu offen gezeigt. (Samm-
lungen fürs serbische ‚Rote Kreuz‘, verschiedene Vorträge u.
s.
w.).“122 Anfang Sep-
tember berichtete das Tagblatt mit freudiger Genugtuung, dass Janko Brejc in Kla-
118 „Slowenisch“ wurde nicht nur im sprachlichen Sinne, sondern auch im lebensphilosophischen
Sinne vielfach mit „Südslawisch“ (oder generell mit „Slawisch“) gleichgesetzt. Als „Südslawen“
galten die „Serben“, die „Kroaten“ und die „Slowenen“, vgl. etwa folgenden Artikel des Tagblatts,
der mit den abfälligen, lakonischen Worten beginnt: „Der ‚Südslawische (lies ‚slowenische‘) Ei-
senbahnbeamten-Verein‘ feiert seinen fünfjährigen Bestand [...].“ Aus: Časopis!, in: Grazer Tag-
blatt, 13.6.1914, 1.
119 Großserbische Umtriebe, in: Grazer Tagblatt, 8.5.1914, 1. Vgl. auch: Unsere Feinde an der Arbeit,
in: Grazer Tagblatt, 1.4.1914, 1.
120 Panslawische Irredenta auf den südösterreichischen Eisenbahnen. (Ein Mahnwort.), in: Grazer
Tagblatt, 31.3.1914, 1. Ferner der Artikel: Die Südbahn im Dienste der Slawisierungsbestrebun-
gen, in: Grazer Tagblatt, 16.4.1914, 1.
121 Stürgkh – Siegfried!, in: Grazer Tagblatt, 14.7.1914, 1.
122 Sturm gegen die slowenischen Hetzer in Pettau, in: Grazer Tagblatt, 4.8.1914, 4.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453