Seite - 104 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Sarajevoer Attentat und
Graz104
auf eine seiner Titelseiten. Im Leitartikel „Allpolnische Arbeit“ vom 7. Juli atta-
ckierte das Tagblatt die „allpolnisch verseuchte Beamtenschaft“ und den galizi-
schen Statthalter Wiltold von Korytowski, weil er „die allpolnische Bewegung“
begünstigen würde.163 Der Leitartikel endete mit dem Appell: „Es wäre hoch an der
Zeit, diesem Treiben ein Ende zu bereiten, bevor es zu spät ist.“ Der Arbeiterwille
missbilligte diese redaktionseigenen oder redaktionsfremden (aber im Tagblatt ab-
gedruckten) Artikel. Unaufhörlich distanzierte er sich von dieser Schreibweise,
was sich unter anderem in den Artikeln „Und ein solcher Staat will dem Auslande
imponieren!“ und „Der Jammer der Deutschnationalen“ widerspiegelt.164 Eine
Veränderung konnten diese Artikel nicht herbeiführen, zumal sich der steirische
Nationalitätenkonflikt zusehends verschärfte und auch deutschnationale Attacken
gegen die Sozialdemokratie nicht ausblieben. In der Zeitungssparte, in welcher
über Kärnten berichtet wurde, sprach das Tagblatt zum Beispiel abwertend von der
„Roten Demagogie“ oder davon, dass „‚[d]eutsche‘ Sozialdemokraten als Schutz-
truppe der klerikalen Slowenen“ aufgetreten seien.165 Schlussendlich wurden alle
Nationsfragen auf die eine oder andere Weise instrumentalisiert (Selbstredend galt
auch Franz Ferdinand entlang seiner jeweiligen Reformvorstellungen als „tsche-
chophil“). Die auflagenstärkste Tageszeitung in Graz, die Kleine Zeitung, folgte der
neuen Schwerpunktsetzung der anderen Blätter nicht. Sieht man von ihren wohl-
wollenden Nachrufen auf das Thronfolgerpaar und weiteren kleineren Artikeln
über den Sarajevo-Topos ab, dominierte in der Kleinen Zeitung nach wie vor der
in- und ausländische Boulevard. Das verdeutlichen bereits ihre die Titelseite ver-
einnahmenden Titelbilder. So berichteten die Titelseiten von einem dramatischen
Zirkusunfall in den USA, von einer Frau, die in einem kalifornischen Gefängnis
ihre Freiheit durch schönen Gesang erhielt, sowie von einem Jaguar, der in Groß-
britannien als Lebensretter in Erscheinung trat.166 Die Aufbereitung des Attentats
und seiner Folgen erfolgte in der Kleinen Zeitung lediglich durch eine kommen-
tarlose Wiedergabe amtlicher Meldungen aus Wien und anderen Städten, die sich
sehr bedeckt und unpräzise167 hielten. Im Verlauf der sich Mitte Juli zuspitzenden
Julikrise vollführte dann auch die Kleine Zeitung eine Kehrtwende zum klassisch
Politischen im engeren Sinn, wobei sie sich vielfach am klerikal-konservativen
163 Allpolnische Arbeit, in: Grazer Tagblatt, 7.7.1914 (Abendausgabe), 1.
164 Und ein solcher Staat will dem Auslande imponieren!, in: Arbeiterwille, 13.7.1914 (Abendaus-
gabe), 1; Der Jammer der Deutschnationalen, in: Arbeiterwille, 15.7.1914, 3.
165 Raibl, 6. Juli. (Rote Demagogie.), in: Grazer Tagblatt, 8.7.1914, 9; Villach, 6. Juli. („Deutsche“
Sozialdemokraten als Schutztruppe der klerikalen Slowenen.), in: Grazer Tagblatt, 8.7.1914, 9.
166 Siehe z. B. die Titelbilder der Kleinen Zeitung vom 18., 20. und 24. Juli 1914.
167 „Lediglich“ der Verlauf des Sarajevoer Attentats wurde einigermaßen genau dargestellt.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453