Seite - 113 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Ultimatum an Serbien | 113
so groß, dass es – zumindest vordergründig – alles daran setzte, dem neuen Re-
gierungsvorgehen nicht mehr im Wege zu stehen. Artikel wie diese, in der eine
gesellschaftliche Instanz, wie zum Beispiel eine Partei, eine Redaktion, eine Kon-
fession, eine Gewerkschaft, ein Verein, ein Berufsstand oder eine Organisation,
öffentlich bekundete, dass sie von nun wie auch immer definierte gesellschaftliche
Konflikte zum Wohle des gesellschaftlichen Ganzen beenden werde, waren selten.
Und sie waren, wie im Falle der radikal deutschnationalen Burgfriedensbekun-
dung mit Blick auf die Slowenenfrage, weder ernst gemeint noch von Dauer. Die
proklamierte „Solidarität mit dem Staate und dem greisen Kaiser“ führte nämlich
zu keinem Ende des vom Tagblatt scharf geführten „Nationalitätenkampfs“ gegen
die „Slowenen“. Auch die Deutsche Zeitung, das Parteiorgan der deutschnationa-
len Pantz-Partei, lobte das Ultimatum, zumal in ihm zum ersten Mal seit Langem
wieder eine Sprache an den Tag gelegt wurde, die man sich vonseiten der Zeitung
schon lange erhofft habe: „Zum erstenmale seit Jahrzehnten hören wir die Sprache,
die Oesterreich[s] würdig ist: klar, ernst und entschieden.“217 Und wie das Tagblatt
hegte die Redaktion der Deutschen Zeitung die Hoffnung, dass auf dieses Ultima-
tum Taten folgen: „Die Würfel sind gefallen“. Der Arbeiterwille stellte das Ultima-
tum fälschlicherweise als eine – wegen der Skupština-Wahlen – bis zum 13.
August
zu beantwortende Note dar.218 Für ihn war aber klar, dass die Nichterfüllung der
Note letztendlich Krieg bedeuten würde. Den Wortlaut des Ultimatums beurteilte
er als völlig überzogen, zumal dieser wenig zur Aufrechterhaltung des Friedens
beitragen würde:
„In der Note des Ministeriums des Äußern an die serbische Regierung klirren die Säbel
und Bajonette, glänzen die Gewehrläufe und Kanonen. Die Kriegsfurie grinst zwischen
den Zeilen hervor, hinter jedem Buchstaben der zehn Gebote an Serbien lauern Tod und
Verwüstung. Kein Zweifel ist gestattet: Wenn sich Serbien nicht dem Befehl unterwirft,
ist der Krieg da, der Krieg mit allen seinen Schrecken und Greueln, der Krieg, den wir
bisher nur aus der Geschichte und in neuerer Zeit nur aus der Ferne und aus barbari-
schen Ländern kannten.“219
217 Die Würfel sind gefallen, in: Deutsche Zeitung, 26.7.1914, 1.
218 Kein Ultimatum!, in: Arbeiterwille, 23.7.1914, 2: „Sie wird nicht den Charakter eines Ultimatums
tragen, wird auch nicht befristet sein, sondern wird Herrn [... Nikola Pašić] wegen der Skupscht-
inawahlen bis zum 13. August Zeit lassen, dem Verlangen der österreichisch-ungarischen Regie-
rung, das nebenbei von Herrn Tisza formuliert wurde, Rechnung zu tragen.“
219 In banger Erwartung, in: Arbeiterwille, 25.7.1914, 1.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453