Seite - 114 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Sarajevoer Attentat und
Graz114
Der Arbeiterwille lehnte den Krieg mit Serbien (bis zum 31. Juli) strikt ab. Eine
kategorische Kriegsgegnerschaft mittels der Parolen „Nieder mit dem Krieg! Gene-
ralstreik jetzt!“ erfolgte vom Arbeiterwillen aber nicht. Ebenso wenig rief die steiri-
sche Sozialdemokratie unter Michael Schacherl, Johann(es) Resel, Josef Pongratz,
Marie Koch und den anderen Parteispitzen einen Generalstreik aus oder kündigte
eine Friedensdemonstration an. Eine Bereitschaft zur Demonstration oder zum
Streik war nirgendwo spürbar.220 Weder wurden – wie im Jahr 1912 – Vorkehrun-
gen gegen eine bevorstehende Kriegseskalation getroffen, noch in den Tagen der
aufeinanderfolgenden Kriegserklärungen ad hoc entwickelt.221 In den letzten Ju-
litagen bestimmten Ratlosigkeit und Desorientierung das Wirken der steirischen
Sozialdemokratie. Ungeachtet dessen wies der Arbeiterwille jedwede Schuld für
das (zunächst potentielle und dann tatsächliche) Zustandekommen des Kriegs mit
Serbien von sich. Die Verantwortung schob er den Regierenden in Wien und Bu-
dapest (Ofen-Pest, Pest-Buda) zu. Diese Haltung der steirischen Sozialdemokratie
entsprach jener des Klubs der deutschen Sozialdemokratie Österreichs, die sich im
Manifest „Arbeiter, Parteigenossen!“ niederschlug. Die Arbeiter-Zeitung (Wien)
druckte das besagte Manifest am 25.
Juli.222 Der Arbeiterwille brachte es am selben
Tag als Blattbeilage in vielen seiner Ausgaben.223 Einige der Ausgaben wurden dar-
aufhin – wie in Salzburg224 – konfisziert.225 Einen Tag später druckte der Arbeiter-
wille eine zensierte Version des Manifests, in dem es unter anderem hieß:
„Deshalb erklären wir [...], daß wir für diesen Krieg die Verantwortung nicht überneh-
men können; daß wir für ihn und für alles, was aus ihm an furchtbar ernsten Folgen
entsprießen muß, denjenigen die Verantwortung zuschieben, die den verhängnisvollen
Krieg ersonnen und gefördert haben. Zu dieser Feststellung und Erklärung sind wir um
so mehr berechtigt, verpflichtet und gedrängt, als die Völker in Österreich so viele Mo-
220 Ein Generalstreik wurde a priori wegen der „militarisierten“ Rechtslage (z. B. Kriegsleistungsge-
setz) ausgeschlossen, vgl. Grandner (1992), 57. Auch in Münster, im Raum Bergisch Gladbach
oder in Bamberg gab es keine Friedensdemonstrationen, vgl. Nübel (2008), 92; Schröder (2007),
210, 214; Link (2004), 325.
221 Kronenbitter (2003a), 479.
222 Arbeiter, Parteigenossen!, in: Arbeiter-Zeitung, 25.7.1914, 1. Zum Manifest: Ardelt (1994), 89 f.;
Hautmann (1987), 91. Das Manifest führte keinen konkreten Titel.
223 Ein Manifest der Sozialdemokraten an die Arbeiter, in: Arbeiterwille, 25.7.1914, 9.
224 Die „Salzburger Wacht“, das Hauptorgan der salzburgerischen Sozialdemokratie, druckte eben-
falls am 25. Juli den Klubaufruf. Diese Ausgabe wurde beschlagnahmt, vgl. Dohle (2014), 22.
225 Das Manifest der deutschen sozialdemokratischen Abgeordneten an die Arbeiter konfisziert!, in:
Arbeiterwille, 26.7.1914, 5.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453