Seite - 120 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Sarajevoer Attentat und
Graz120
terwillens ein.255 Vielfach „flossen wahre Gießbäche“ durch die Grazer Straßen.256
Die Unwetter hinterließen zwar keine substantiellen Hausschäden, führten aber zu
enormen Glas- und Baumschäden. Die enormen Eindämmungs- und Aufräumar-
beiten wurden von der Grazer Bevölkerung, von der Grazer Feuerwehr, von der
Freiwilligen Feuerwehr, von Soldaten sowie von den Pfadfindern bewerkstelligt.
Außerhalb der Stadt Graz zerstörten die Unwetter weite Teile der umliegenden
Felder, Wälder und Obstgärten. Vornehmlich in den Grazer „Umgebungsgemein-
den“ Gösting, Waltendorf, St. Peter, Hart, Petersbergen, Reintal und Pachern wa-
ren die Land- und Forstschäden verheerend. So sahen der Grazer Vorortezeitung
zufolge „die Korn- und Haferfelder wie gemäht aus, der [... Mais lag] zerquetscht
am Boden“ und auch die Obstbäume sowie einige Wälder erlitten arge Schäden.257
In den Göstinger Heimgärten war dem Tagblatt zufolge die „ganze Ernte [...]
vernichtet.“258 Dies wirkte sich auf die regionalen Ernteerträge aus. Prinzipiell lässt
sich sagen, dass das steirische Erntejahr 1914 schlechter als das Jahr 1913 aus-
fiel. Dies hatte regionale Gründe (Unwetter) und überregionale Gründe (Mobili-
sierung). Die Mobilisierung und die damit verbundene Einberufung von Bauern
und Erntehelfern sowie die militärische Requisition von Tieren war der hauptaus-
schlaggebende Faktor für die schlechte Gesamtsaison. bzw. für die sinkenden Hek-
tarerträge.259 Nachweislich rückläufig waren beispielsweise die steirischen Ernten
von Weizen, Roggen, Gerste, Kartoffeln, Futterrüben und Hülsenfrüchten.260 Den-
noch lässt sich festhalten, dass nicht alle der 1914 eingebrachten Ernten Rückgänge
verzeichneten. Die steirische Gesamtmenge an eingebrachtem Hafer, Heu, Mais
und Weintrauben überstieg zum Beispiel die Vorjahrserträge.261 Die frühsommer-
liche Stimmung traf in Graz nicht so ein, wie man sie erwartet hatte. Stattdessen
war der Grazer Alltag von schweren Unwettern gekennzeichnet und das Saraje-
voer Attentat sowie seine Folgen wurden schnell zum dominierenden Gesprächs-
stoff. Konträr dazu verloren die in den Zeitungen vielfach aufscheinenden und aus
255 Zentrale Artikel hierzu: Eine Wetterkatastrophe, in: Arbeiterwille, 4.7.1914, 8; Hochwasser und
Hagelkatastrophe, in: Grazer Tagblatt, 4.7.1914, 17; Große Wasserkatastrophe, in: Grazer Volks-
blatt, 4.7.1914 (Abendausgabe), 3; Zur Unwetterkatastrophe, in: Grazer Tagblatt, 5.7.1914, 5. Vgl.
auch: Das furchtbare Unwetter, in: Grazer Kirchenbote, 1.8.1914, 65.
256 Gewitter, in: Grazer Tagblatt, 12.7.1914, 5.
257 St. Peter. (Der letzte Hagelschlag.), in: Grazer Vorortezeitung, 12.7.1914, 3. Vgl. auch: Walten-
dorf-Ruckerlberg. (Unwetter.), in: Grazer Vorortezeitung, 19.7.1914, 3.
258 Zur Unwetterkatastrophe, in: Grazer Tagblatt, 5.7.1914, 5.
259 Vgl. zu dieser Thematik den Aufsatz von: Schmied-Kowarzik (2016), 492–496.
260 Näherungswerte in: Rumpler/Schmied-Kowarzik (2014), 223.
261 Näherungswerte in: Rumpler/Schmied-Kowarzik (2014), 223.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453