Seite - 124 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Sarajevoer Attentat und
Graz124
ist grausam und gefühllos, kranken Menschen die Ruhe zu stören und [sie] obendrauf
noch zu beflegeln.“280
Im Endeffekt geht aus diesem Artikel (sowie aus den anderen von mir eingese-
henen Quellen) nicht klar hervor, welches politische Milieu sich primär an den
fast einstündigen Demonstrationen beteiligte. Dieses Problem scheint letztendlich
mehrmals in meiner Arbeit auf, weil sich in den Tagen rund um den Kriegsbeginn
(28.
Juli) mehrere unterschiedliche Gruppen in den Quellen ausfindig machen las-
sen, die von den politischen Zeitungen und Zeitschriften, wenngleich nicht jedes
Mal, aber aus meiner Sicht in mehreren Fällen, politisch vereinahmt wurden. Ab-
schließend lässt sich sagen, dass die Lungenheilstätte dennoch nicht zur Ruhe kam.
Schließlich deuten einige Indizien darauf hin, dass Ende Juli der Anstaltsarzt sowie
ein Patient (der von Beruf her tatsächlich ein Offizier der serbischen Armee war)
wegen Spionageverdachts festgenommen wurden.281 Darüber hinaus wurde der
Hauswart der Heilanstalt denunziert, da man ihn für einen „Spion“ hielt.282 Un-
mittelbar nach dem Attentat von Sarajevo hatte sich auch das (geschichtsmächtige)
Gerücht verbreitet, dass „von Belgrad aus gesteuerte Terrorkommandos“ auf den
Weg seien, um die gesamte Habsburgerdynastie auszulöschen.283 Diese Nachricht
löste bei den steirischen Behörden sofort Alarm aus, da zu dieser Zeit tatsächlich
ein Mitglied des Kaiserhauses in der Steiermark verweilte. Erzherzog Leopold von
Österreich-Toskana, seit 1907 Generalinspektor der k. u. k. Artillerie, befand sich
nämlich auf der Reise nach Gamlitz (Gomilica), wo er am 29. Juni das Denkmal
„Batterie der Toten“ (ein 1866er-Denkmal) enthüllen sollte.284 Der Zug, in dem er
saß, wurde in Marburg a. d. Drau (Maribor) angehalten und auf Bomben unter-
sucht. Die Suche blieb ergebnislos. Die zunächst abgesagte Denkmalenthüllung
wurde am Ende doch noch durchgeführt. Sie verlief aber einer deutschnationalen
Wochenzeitung zufolge aufgrund des Attentats „in aller Stille“.285 Das nächste Ge-
280 Gratwein. (Eine dumme Brutalität.), in: Arbeiterwille, 3.7.1914, 10.
281 Moll (2007a), 235 f.
282 Ebd.
283 Moll (2014), 50. Zusätzlich dazu: Moll (2007a), 178.
284 Das Folgende stützt sich auf: Die Vorbereitungen für die Enthüllung des Denkmals der „Batterie
der Toten“ in Gamlitz, in: Grazer Tagblatt, 27.6.1914, 3; Die „Batterie der Toten“, in: Grazer Tag-
blatt, 28.6.1914, 3; Die Enthüllung des Denkmals für die „Batterie der Toten“ in Gamlitz abgesagt,
in: Grazer Tagblatt, 29.6.1914 (2. Sonderausgabe), 2. Ein Abriss über das Denkmal an sich in:
Riesenfellner (1994), 15 f.
285 Das Denkmal für die Batterie der Toten, in: Deutsche Zeitung, 5.7.1914, 5. Mit ähnlichen Worten
kommentierte das Volksblatt die Enthüllung, vgl. Enthüllung des Denkmals für die Batterie der
Toten, in: Grazer Volksblatt, 30.6.1914 (Abendausgabe), 5: „In stiller, aber eindrucksvoller Weise
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453