Seite - 127 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Zur Trauerstimmung | 127
Attentat von Sarajevo nur ein paar Meldungen von ominösen Flugzeugsichtungen.
So hat beispielsweise ein Mann im Bezirk Liezen Anfang Juli um 10 Uhr abends
ein von Westen her kommendes Flugzeug gesichtet sowie dessen Motorensurren
vernommen.298 Ein anderer Mann konnte im Bezirk Bruck a. d. Mur Anfang Au-
gust zwischen Mitternacht und 2 Uhr früh zwei Flugzeuge beobachten, die weiße
und grüne Lichtsignale austauschten.299 Andere Bezirkshauptmannschaften, wie
zum Beispiel die BH Murau, meldeten dagegen, dass keine Flugzeuge gesichtet
wurden.300 Ein Grazer Bericht wurde von mir nicht gefunden, aber nachdem auch
die Presse keine Flugzeugsichtungen thematisierte, liegt es nahe, dass der Invasi-
onstopos für Graz zwischen Juli und September nahezu irrelevant war. Dass man
im obersteirischen St. Peter-Freienstein fliegende Störche für feindliche Flugzeuge
hielt, ändert daran ebenso wenig.301 Die Presse antwortete auf die kaum gestellte
Invasionsfrage einheitlich, dass das „Vaterland von den unmittelbaren Schrecken
und Gräueln des Kriegs verschont bleiben“ würde.302 Als „Garanten“ dafür fungier-
ten meistens der selektive Redaktionsblick auf vorangegangene Feldzüge oder der
Verweis auf die in den Zeitungen abgedruckten Landkarten, auf denen man sehen
konnte, dass Serbien und später die Front weit weg lagen.
Was sich dagegen sehr deutlich in den Zeitungen niederschlug, ist die Angst vor
der „slawischen“ Infiltration des eigenen Kronlands. Die Angst, dass das Herzog-
tum „übersät“ sei von „österreichfeindlichen“ Slowenen und Serben, Männern wie
Frauen, war bereits vor dem Krieg mit Serbien in den Köpfen vieler Steirerinnen
und Steirer verankert. Massiv forciert wurden diese Gefühlsstimmungen durch die
Art und Weise, wie die Presse über die beiden Balkankriege (1912/13) und deren
Folgen für die Steiermark berichtete. Die Person Oberst Redl gilt ebenso als Chiffre
für eine seit mehreren Jahren vielfach und zu Kriegsbeginn hin vermehrt um sich
greifende Angst vor einem antihabsburgischen Spionagewesen. Redls Tarnung flog
erst ein Jahr vor dem Weltkrieg mit Pauken und Trompeten auf. Ebenso schien der
Begriff „Spionitis“303 mehrmals in den Zeitungen auf. Einige dieser Artikel thema-
tisierten Spionagefälle, deren Ursprünge vor „Sarajevo“ (z. B. ein Spionageprozess
in Wien304) lagen, die meisten Artikel drehten sich aber um die durch das Saraje-
298 BH Liezen an Statthalterei-Präsidium, 4.8.1914, in: StLA, Statt. Präs. A5b/1814/1914.
299 BH Bruck a. d. Mur an Statthalterei-Präsidium, 3.8.1914, in: StLA, Statt. Präs. A5b/1814/1914.
300 BH Murau an Statthalterei-Präsidium, 4.8.1914, in: StLA, Statt. Präs. A5b/1814/1914.
301 Ganz wie in Salzburg, in: Grazer Tagblatt, 19.8.1914, 4.
302 Krieg und Sieg!, in: Grazer Mittags-Zeitung, 19.8.1914, 1.
303 Spionitis in Deutschland, in: Arbeiterwille, 18.4.1914, 9; Die deutsche Spionitis, in: Arbeiterwille,
17.5.1914, 8; Spionitis, in: Arbeiterwille, 1.7.1914, 8.
304 Ein Spionageprozeß in Wien, in: Arbeiterwille, 8.7.1914, 9.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453