Seite - 134 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Sarajevoer Attentat und
Graz134
„Schrecksekunde“ als einer tiefgreifenden Trauer. Das erkennt man an den gut be-
suchten Zirkusvorstellungen, an den vielen Vereinsausflügen und an den Männern
und Frauen, die in diesen Tagen wegen §
305 (Gutheißung des Attentats) und/oder
§ 64 (Beleidigung von Mitgliedern des kaiserlichen Hauses) des zivilen Strafgeset-
zes verhaftet und angeklagt wurden. Die fehlende Trauerstimmung zeigt sich zu-
gleich an der Tatsache, dass man sehr bald nur mehr vom „Attentat von Sarajevo“
sprach. Ende Juni und Anfang Juli hieß es hingegen noch: „Ein nationalistisches
Mordattentat auf den Thronfolger“.346 Dieser Redewechsel von einem expliziten Op-
ferbezug hin zu einer entpersonalisierten, aber dafür territorialisierten Chiffre ist
das Ergebnis einer sehr früh einsetzenden Instrumentalisierung des Attentats.347 Im
Vordergrund stand nun nicht mehr die Hinwendung zu den konkreten Opfern
des Attentats, sondern der Ort des Geschehens, dessen mehrmalige Artikulatio-
nen in den Zeitungen, das in der Bevölkerung vorherrschende Bild forcierte, dass
der „Balkan“ ein problembeladener Raum sei, den es sicherheitspolitisch zu ord-
nen gelte. Die bürgerlichen Tageszeitungen wollten den „Balkan“ seit Mitte Juli
obendrein feldzugartig bestrafen. Ganz anders verhielt es sich diesbezüglich mit
den anderen Attentaten der Vorkriegsjahre.348 Zu nennen sind hier beispielsweise
das Attentat auf den griechischen König Georg I. (März 1913), auf den russischen
Ministerpräsidenten Pjotr Stolypin (September 1911), auf den portugiesischen
König Carlos I. und seinen Thronfolger (Februar 1908) sowie das Attentat auf den
französischen Autor und Politiker Jean Jaurès (Juli 1914). Gleichermaßen verhielt
es sich mit dem Attentat auf den k. k. Ministerpräsidenten Karl Stürgkh (Oktober
1916). Wenn man von diesen Attentaten sprach, akzentuierte man hauptsächlich
das Attentatsopfer und nicht den Ort des Geschehens.
346 Ein nationalistisches Mordattentat auf den Thronfolger, in: Arbeiterwille, 29.6.1914 (Abendaus-
gabe), 1.
347 Vgl. dazu vor allem den Aufsatz von: Sösemann (1996).
348 Sösemann (1996).
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453