Seite - 137 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Kein Telefonnetz | 137
nach zu Kriegsbeginn für diejenigen Grazer und Grazerinnen, die sich ein Telefon
leisten konnten, kein verlässlicher Kommunikationskanal mehr. Das Militär, die
Behörden, darunter die Zensurbehörde in Graz (Staatsanwaltschaft)10 sowie die
Zeitungen11 waren beispielsweise von dieser Einschränkung ausgenommen. Und
selbst diese Institutionen klagten mehrmals über Verbindungsprobleme. Beispiel-
gebend sind hier die Schreiben der steirischen Bezirkshauptmannschaften (BHs),
in denen teilweise demonstrativ und in anderen Fällen in einem Nebensatz das
nahezu brachliegende Telefonnetz beanstandet wurde. Immer wieder berichteten
sie in den ersten Kriegsmonaten der Statthalterei, dass das massiv eingeschränkte
Telefonnetz enorme Erschwernisse für ihren Dienstalltag mit sich bringe. So
konnte zum Beispiel die BH Liezen einer Anfrage der Statthalterei nur erschwert
nachgehen. Die Statthalterei wollte wissen, ob sich in den steirischen Bezirken et-
waige Vereine oder Personen finden ließen, die im Bedarfsfall zur Aufrechterhal-
tung von „Ruhe und Ordnung“ herangezogenen werden könnten. Die BH Liezen
folgte wie die anderen BHs dieser Anfrage prompt. Ihrem Bericht zufolge wurde
aber das Nachkommen dieser Aufforderung „dadurch sehr erschwert, [...
weil] der
telephonische Verkehr mit den Gemeinden ausgeschaltet ist und die Eisenbahn-
zugsverbindungen die erdenklich schlechtesten sind.“12 Sätze wie diese tauchten
mehrmals in den Akten auf und sie zeigen, dass selbst diejenigen Institutionen, bei
denen man nicht den Telefonanschluss kappte, ihre kleineren und größeren Ver-
bindungsschwierigkeiten hatten. Für die Privathaushalte gestaltete sich die Lage
noch schwieriger, zumal das unangekündigte Abschalten des Telefonnetzes ihren
Handlungsspielraum enorm einschränkte. Wollte man beispielsweise wissen, wie
es einem Verwandten oder einem Bekannten außerhalb von Graz ging, konnte
man dies nur mehr mit einem Brief oder mit einem Besuch in Erfahrungen brin-
gen. Voraussetzung hierfür war aber, dass die Postzüge und der zivile Bahnverkehr
einigermaßen normal abgewickelt wurden, was in Anbetracht der Mobilisierung
nicht der Fall war.13 Nachdem man lange Zeit auch nicht nach Wien telefonieren
konnte, erwiesen sich auch sämtliche (neue) Behördengänge als schwierig. Zum
Beispiel befand sich die (anfänglich einzige) Auskunftsstelle für Fragen bezüglich
des Briefkontakts mit Kriegsgefangenen in Wien.14 Eine Grazer Außenstelle gab es
in den ersten Kriegsmonaten noch nicht und so musste man entweder nach Wien
10 Siehe das Kapitel: Präventivzensur.
11 Vgl. z. B. Der Telephonverkehr, in: Arbeiterwille, 30.7.1914, 3.
12 BH Liezen an Statthalterei-Präsidium, 1.9.1914, in: StLA, Statt. Präs. E91/2054/1914.
13 Siehe das Kapitel: Verspätete Zeitungen in der Provinz.
14 Aufstellung des „Auskunftsbureau“ vom Roten Kreuz in Wien, in: Grazer Volksblatt, 19.8.1914,
5. Siehe das Kapitel: Ausstattungsfrage und Postämter.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453