Seite - 152 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof152
selbst offengelegte Fortsetzung der bisher verfolgten politischen Ambitionen fand
sich auch in den anderen Tageszeitungen. In einem Artikel des Arbeiterwillens las
man: „Darüber hinaus aber lassen wir uns angelegen sein, nicht nur oberfläch-
lich die Ereignisse zu berichten, sondern vom Standpunkte unserer sozialistischen
Weltanschauung aus dem Leser ein tieferes Verständnis der Vorgänge und ein Ein-
dringen in ihre weltgeschichtliche Bedeutung zu ermöglichen.“76 Aus dem Artikel
geht klar hervor, dass der Arbeiterwille seine ideologische Brille nie abnahm. Viel-
mehr wies er stolz darauf hin, dass seine „in bestimmten Zeitabständen regelmäßig
[erfolgten] Berichte über die östlichen Kriegsschauplätze aus der Feder tüchtiger,
auf dem Schlachtfelde weilender Parteijournalisten“ stammen würden.77 Ein Bei-
spiel dafür, dass das radikal deutschnationale Tagblatt seine journalistische Auf-
gabe verklausulierte, stellt ein Artikel über das Grazer Opernhaus dar. Nach seiner
Sommerpause werde die Oper – so der indirekte Appell des Tagblatts – mit seinen
Vorstellungen „Sorge bannen, Trost spenden, Erbauung bringen, Begeisterung
entflammen“.78 Da die Zeitungen mehrmals bekundeten, dass sie ihre Welt- und
Lokalberichte gemäß ihren jeweiligen politischen Vorstellungen unter die Leute
bringen werden, irritiert es wenig, dass sie sich oftmals untereinander attackierten.
Regelmäßig wies man darauf hin, dass die jeweils andere Zeitung (der „Gegner“79)
mangelnde Qualität besäße, nichts Neues bringe, oft Falschmeldungen kolportiere,
keine oder nur schlechte Kriegsberichterstatter habe sowie, dass deren Exemplare
zu viel kosten würden.80 Ohne Zweifel ist hier die Stellungnahme des Arbeiter-
willens mit dem Titel „Kaltes Blut bewahren!“, in der er sich entschieden von der
Schreibweise und der Politik der bürgerlichen Presse distanzierte, beispielgebend:
76 Leser des „Arbeiterwille“!, in: Arbeiterwille, 6.9.1914, 5.
77 Ebd.
78 Die Eröffnung der Spielzeit im Opernhause, in: Grazer Tagblatt, 17.9.1914 (Abendausgabe), 6.
79 Warnung an unsere Leser!, in: Arbeiterwille, 31.7.1914 (Abendausgabe), 3: „In diesen bewegten
Zeiten bemühen sich die bürgerlichen Zeitungen ganz besonders, durch Extrablätter, die oft un-
wahre Mitteilungen enthalten, Absatz zu finden. Wir warnen unsere Leser, darauf hineinzufallen,
und ersuchen sie, sich ausschließlich an den ‚Arbeiterwille‘ zu halten. Durch die Schaffung des
Abendblattes [seit Ende Juli 1914] werden die Leser von allen Ereignissen informiert, und sollte
sich trotzdem infolge besonders wichtiger Ereignisse eine besondere Verständigung als notwen-
dig erweisen, wird der ‚Arbeiterwille‘ eine Extraausgabe machen, so daß unsere Leser auf die
Presse ihrer Gegner nicht angewiesen sind.“ Zur Einführung seiner Abendausgabe vgl. allein:
Der „Arbeiterwille“ zweimal täglich!, in: Arbeiterwille, 12.8.1914, 6.
80 Vgl. z. B. Eine Tatarennachricht, in: Grazer Volksblatt, 19.8.1914, 5; Kriegsberichte und „Tages-
post“, in: Arbeiterwille, 1.9.1914 (Abendausgabe), 2.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453