Seite - 157 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Unklare Mobilisierungsplakate | 157
tärsprache“ mit ihren Fachbegriffen, Abkürzungen und Stichtagen. Am Ende gin-
gen Hunderte „von Meldepflichtigen oder solchen Landsturmmännern, die über
ihre Einrückungspflicht im Zweifel waren“ ins Amtshaus.103 Das Gebäude wurde
dem Tagblatt zufolge „bestürmt.“104 Ebenso gingen viele Frauen ins Amtshaus, um
ihre Unterstützungsansprüche zu klären (Unterstützungsfrage).105 Unterstützungs-
berechtigt waren (anfänglich): Ehefrauen, die ehelichen Kinder, die ehelichen Vor-
fahren, die Geschwister und die Schwiegereltern.106 Die (nicht verheirateten) Müt-
ter und die unehelichen Kinder waren nur dann „unterstützungswürdig“, wenn sie
nachweislich vom Einkommen der Soldaten abhängig waren. Einem Artikel zu-
folge stellten bis Mitte August rund 4.000 Menschen im Amtshaus ein Unterstüt-
zungsgesuch.107 Und es versteht sich von selbst, dass zu Kriegsbeginn zahlreiche
Kriegstrauungen zwischen Soldaten und Zivilistinnen geschlossen wurden.108
Frauen gingen (später) auch ins Amtshaus, in der Hoffnung, dass man dort etwas
über den Verbleib eines Soldaten wisse. Die Grundstimmung derjenigen, die 1914
aufgrund des Zweifels im Amtshaus „stundenlang auf einen Bescheid“109 warteten,
wurde vonseiten der Presse weitgehend als ruhig und gefasst beschrieben. Die Dis-
kussionen vor den Plakaten – und hier vor allem jene bezüglich der Einberufung
des Landsturms – waren dagegen lebhaft (und friedlich). Für die bürgerliche Presse
war die mehrheitlich als ruhig und gefasst beschriebene Stimmung im Amtshaus
kein Ausdruck von Angst und Sorge, sondern sie wurde als „Pflichtbewusstsein“
gedeutet. So zeigte sich an dieser gefassten Stille zum Beispiel für das Volksblatt,
dass man in Graz „mit ruhiger Selbstverständlichkeit“110 dem Krieg gegen Serbien
entgegentrat. Der Arbeiterwille, der mehrmals den Einberufenen und den Da-
103 Der Sonntag, in: Grazer Tagblatt, 27.7.1914, 4.
104 Ebd.
105 Ein Straßenbild, in: Grazer Tagblatt, 31.7.1914, 5.
106 Zu den neu geschaffenen Unterstützungskommissionen vgl. die Direktive: Einsetzung von Kom-
missionen zur Unterstützung der Angehörigen von Mobilisierten, in: Amtsblatt der landesfürst-
lichen Hauptstadt Graz (31.7.1914), 379. Drei Artikel, die die Unterstützungswürdigkeit erläu-
terten: Einsetzung von Kommissionen zur Unterstützung der Angehörigen von Mobilisierten,
in: Grazer Volksblatt, 31.7.1914, 6; Unterhaltsbeitrag für Angehörige von Mobilisierten, in: Gra-
zer Volksblatt, 1.8.1914, 5; Wo ist in Graz der Unterstützungsanspruch anzumelden?, in: Grazer
Volksblatt, 5.8.1914, 7. Zu den lokalen Unterhaltszahlungen siehe auch: Moll (2014), 56–61.
107 4000 Gesuche um Reservistenunterstützungen in Graz, in: Grazer Volksblatt, 17.8.1914 (18-Uhr-
Ausgabe), 2.
108 Siehe das Kapitel: Kirchen und Friedhöfe.
109 Der Sonntag, in: Grazer Tagblatt, 27.7.1914, 4.
110 In Obersteiermark, in: Grazer Volksblatt, 27.7.1914 (Sonderausgabe), 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453