Seite - 171 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Die letzten Tage im Juli | 171
angekündigt.180 Durchgeführt wurde dieser Straßenumzug (man sprach von einem
„Zapfenstreich“) nur teilweise, da am Ende nur eine Kapelle ausrückte.181 So mar-
schierte die Kapelle der Landwehrkaserne durch einige Straßen auf der rechten
Murseite.182 Die anderen zwei Kapellen blieben in den Kasernen. Ihren Absagen
fügten sie aber hinzu, dass der für 27. Juli geplante Zapfenstreich lediglich auf den
nächsten Tag verschoben werde. Trotz „heftigen Regens und der kühlen Witte-
rung“ versammelten sich dennoch in den Abendstunden „große Menschenmassen
auf dem Hauptplatze.“183 Die Größe der Menschenmenge fiel der Presse zufolge
deutlich geringer als die jener des Vortags aus. Dem Tagblatt zufolge setzten sich
diejenigen, die später durch die Straßen zogen, „aus allen Kreisen, vornehmlich
aber Studierende“ zusammen.184 Dabei zog „eine hundertköpfige Menge“185 bzw.
„eine vielhundertköpfige Menschenmenge“186 wieder zur Burg und zum Korps-
kommando. Vor der Burg hielt dem Volksblatt zufolge „ein Student eine gedie-
gene Rede und die Menge sang begeistert und jubelnd das Kaiserlied.“187 Dass der
Redner ein Student war, geht aus dem Tagblatt oder der Tagespost aber nicht her-
vor. Sie schrieben bloß, dass „ein junger Mann“ die Rede hielt. Statthalter Manfred
von Clary und Aldringen bedankte sich für die Rede. Der Arbeiterwille berich-
tete nichts über diesen „patriotischen“ Straßenumzug, zumal er in diesen Tagen
mehrmals, aber nicht ausschließlich diverse „hurrapatriotische“ Momente auf der
Straße ausblendete. Der nächste Tag konnte für die „Donaumonarchie“ nicht fol-
genreicher sein. Man schrieb den 28. Juli. Österreich-Ungarn erklärte Serbien den
Krieg. Diese Nachricht erreichte Graz circa um 18
Uhr. Die Zeitungen berichteten,
dass am Abend mehr Menschen in die Innenstadt zogen als die Tage zuvor. Aus-
schlaggebend hierfür waren zum einen die Kriegserklärung an Serbien und der
(erneut angekündigte)188 Umzug dreier Militärkapellen. Ganz im Trockenen ver-
lief der Neuanlauf des Zapfenstreichs dennoch nicht, zumal Gussregen einsetzte.
Die drei Musikkapellen schritten jeweils eine andere Wegstrecke ab. Ein Blick auf
180 Zapfenstreich, in: Tagespost, 27.7.1914, [ohne Seitenangabe]; Zapfenstreich, in: Grazer Volks-
blatt, 27.7.1914 (Abendausgabe), 3; Der heutige Zapfenstreich, in: Grazer Tagblatt, 27.7.1914
(Abendausgabe), 4.
181 Der Arbeiterwille brachte nur die Absage: Der Zapfenstreich abgesagt, in: Arbeiterwille,
28.7.1914, 3.
182 Der Zapfenstreich, in: Grazer Tagblatt, 28.7.1914, 16.
183 Neuerliche patriotische Kundgebungen, in: Tagespost, 28.7.1914, [ohne Seitenangabe].
184 Patriotische Kundgebungen, in: Grazer Tagblatt, 28.7.1914, 16.
185 Abermals große patriotische Kundgebungen in Graz, in: Grazer Volksblatt, 28.7.1914, 3.
186 Neuerliche patriotische Kundgebungen, in: Tagespost, 28.7.1914, [ohne Seitenangabe].
187 Abermals große patriotische Kundgebungen in Graz, in: Grazer Volksblatt, 28.7.1914, 3.
188 Der militärische Zapfenstreich, in: Grazer Tagblatt, 28.7.1914 (Abendausgabe), 4.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453