Seite - 174 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof174
marsch aus Graz (11.
August) die Konfliktlinien zwischen ihnen und weiten Bevöl-
kerungsteilen geglättet hatten. Ihre Teilnahme bei den Aufräumarbeiten nach den
Grazer Unwettern im Juli 1914, ihre Konzerte im Café Stadtpark, ihre Teilnahme
am Zapfenstreich sowie prinzipiell der Ernst der Lage legten hierfür den Grund-
stein.199 Sieht man sich einige der Ankündigungen des besagten Zapfenstreichs an,
fällt auf, dass sie konkrete Liedanweisungen für die Bevölkerung enthielten. Man
erfuhr daher bereits im Vorhinein, welche „patriotischen“ Lieder wo gesungen
werden sollten. Diese Anweisungen verdeutlichen, wie sehr man sich um einen
geregelten Ablauf der Straßenumzüge bemühte:
„Die Regimentsmusik der Siebener verläßt um 7 Uhr abends die Franz Joseph-Kaserne
und nimmt nachstehende Marschrichtung: Annenstraße, Franz Karl-Brücke, Murgasse,
Hauptplatz (Vortrag eines patriotischen Liedes vor dem Rathause), Sporgasse und Hof-
gasse zur Burg (im Burghof das Prinz Eugen-Lied), Burgtor, Elisabethallee, Korpskom-
mando (Volkshymne), Karl Ludwig-Ring, Herrengasse, Albrechtgasse, Albrechtbrücke,
Tegetthoffgasse, Vorbeckgasse, Annenstraße und zurück in die Kaserne.“200
Dem Tagblatt nach haben „[v]iele Tausende“, darunter viele Einberufene, die sepa-
raten Umzüge der drei Militärkapellen mitverfolgt.201 Am Hauptplatz, wo man auf
dem Erzherzog-Johann-Denkmal eine große schwarz-gelbe Fahne hisste, „herrschte
ein geradezu lebensgefährliches Gedränge“, weshalb die Straßenbahn „nur ruck-
weiße und langsam vorwärts“ kam.202 Und das Volksblatt schrieb: „War der Enthu-
siasmus, der Graz seit dem Tage des Ultimatums erfüllte, noch einer Steigerung
fähig, so brachte sie heute [sprich gestern, am 28. Juli] die Kriegserklärung und
der unter ihrem begeisternden Eindrucke stattgefundene Zapfenstreich.“203 Der
Arbeiterwille widmete diesen Stadtereignissen einen reservierten und wortkargen
Artikel. Diesem zufolge habe man am 28. Juli auf den Straßen „massenhaft“204 die
Zeitung gelesen. Ebenso wurde auf der Straße von „viele[n] Gruppen“ die Kriegs-
erklärung diskutiert. Hinsichtlich des Zapfenstreichs, den er weder am 27. noch
am 28. Juli ankündigte, verlor er zwei Sätze: „Und als die Musikkapellen durch die
199 Zwei Artikel hierzu: Eine Wetterkatastrophe, in: Arbeiterwille, 4.7.1914, 8; Platzmusik im Stadt-
park, in: Grazer Tagblatt, 22.7.1914, 4.
200 Zapfenstreich, in: Grazer Volksblatt, 27.7.1914 (Abendausgabe), 3.
201 Der gestrige Zapfenstreich, in: Grazer Tagblatt, 29.7.1914, 12.
202 Ebd.
203 Patriotische Kundgebungen und Zapfenstreich, in: Grazer Volksblatt, 29.7.1914, 5. Vgl. parallel:
Patriotische Kundgebungen und Zapfenstreich, in: Kleine Zeitung, 30.7.1914, 8.
204 Der Tag der Kriegserklärung in Graz, in: Arbeiterwille, 29.7.1914, 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453