Seite - 175 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Die letzten Tage im Juli | 175
Stadt zogen, gab es ein Gewoge von Menschen. Immer wieder gab es Hochrufe
und lebhafte Zurufe auf die Soldaten.“205 In den bürgerlichen Zeitungen hieß es
dagegen regelmäßig, dass „Hochrufe auf den Monarchen und auf das Vaterland“
erteilt wurden.206 Diese Zweckbehauptungen illustrieren gewissermaßen, wie un-
terschiedlich man in den Krieg zog. Typisch hierfür sind sicherlich die Berichter-
stattungen bezüglich der Stadtgeschehnisse vom 31. Juli. Am Abend des 31. Juli
veranstaltete das an diesem Tag in Graz ankommende 27. Infanterieregiment (Al-
bert I. König der Belgier) einen Zapfenstreich, der laut Tagblatt „von vielen Tau-
senden von Menschen begleitet wurde.“207 Auch hier scheint die Größenangabe zu
hoch angesetzt zu sein. Auf der Wegstrecke des militärischen Zapfenstreichs lagen
der Hauptplatz, wo Statthalter Manfred von Clary und Aldringen „eine zündende,
kriegsbegeisterte Ansprache hielt“, und das Korpskommando am Glacis.208 Auf ih-
rem Rückweg in die Kaserne über den Karl-Ludwig-Ring (heute: Opernring) und
Joanneumring passierten sie das „Bosnier“-Denkmal und das „Württemberg“-
Denkmal.209 Der Arbeiterwille verschwieg den Militärmusikumzug, der als solcher
den vorläufig letzten Zapfenstreich darstellte. Erst mit Voranschreiten des Kriegs
kamen wieder militärische Zapfenstreiche zustande. Am letzten Julitag kam es
rückblickend zum letzten Mal zu einem „patriotischen“ Straßenumzug. Von nun
an lassen sich größere Menschenmengen nur mehr auf den Bahnhöfen (hauptsäch-
lich auf dem Hauptbahnhof) nachweisen. Größere „patriotische“ Straßenumzüge
kamen im August nicht mehr zustande, was hauptsächlich damit zusammenhängt,
dass man nun unmissverständlich wusste, dass Russland seine Generalmobilma-
chung eingeleitet hatte.210 Lediglich eine „patriotische“ Großkundgebung vor der
Universität und eine vor der Technischen Hochschule211 wurden von der bürger-
lichen Presse vermerkt. Bis zum großen Truppenabmarsch am 11. August kam
es nur mehr zu „patriotischen“ Kundgebungen im Rahmen von Blaskonzerten an
„gehobenen“ Orten (Café Stadtpark).212 Daraus lässt sich schließen, dass die Kunde
von der russischen Generalmobilmchung sowie die – den Weltkrieg besiegelnden
205 Ebd.
206 Der gestrige Zapfenstreich, in: Grazer Tagblatt, 29.7.1914, 12.
207 Die Siebener in Graz, in: Grazer Tagblatt, 1.8.1914, 9.
208 Ebd.
209 Zu den Denkmälern vgl. Riesenfellner (1994), 7–11.
210 Siehe das nächste Kapitel: Großbritannien und Italien.
211 Große patriotische Kundgebung bei der Technik, in: Grazer Volksblatt, 2.8.1914, 7.
212 Patriotische Kundgebungen beim gestrigen Belgierkonzert, in: Grazer Tagblatt, 7.8.1914, 9;
Kundgebungen im Café „Stadtpark“, in: Grazer Volksblatt, 9.8.1914, 4; Patriotische Kundgebun-
gen beim gestrigen Stadtparkkonzert, in: Grazer Tagblatt, 10.8.1914 (Abendausgabe), 3. Siehe
dazu das Kapitel: Über die „Sprachbereinigung“.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453