Seite - 179 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Großbritannien und Italien | 179
Weltkrieges“.229 Allen war bewusst, dass eine Verschlechterung der Lage den „Ser-
bienkrieg“ in einen verheerenden, europäischen Krieg verwandeln würde. Selbst
die (rein rechtlich gesehen sich nur auf amtliche Meldungen stützenden) Extra-
ausgaben des 1. und 2. August brachten nicht die Nachricht von der deutschen
Kriegserklärung. In der Tagespost hieß es im Leitartikel vom 2. August: „Nicht
mehr der Konflikt Österreich-Ungarns mit Serbien ist der Angelpunkt der Situa-
tion, heute ist es der drohende europäische Krieg, der bevorstehende Zusammen-
stoß des Dreibundes mit dem Zweibund, der die ganze alte Welt in fieberhafter
Aufregung hält.“230 Ähnlich das Tagblatt. Auf die Frage, ob Großbritannien in den
Krieg eintreten werde, konnte es aber keine Antwort geben. Am 2. August schrieb
das Tagblatt lediglich: „Und im Norden wird sich zeigen, ob England den Kampf
gegen ein germanisches Brudervolk aufnehmen wird und ob die blonden Skan-
dinavier nicht die Gelegenheit benützen werden, mit dem Panslawismus, der den
Frieden Europas stets bedroht, abzurechnen.“231 Am 4. August musste dann das
Tagblatt schreiben:
„‚Es wird ein Krieg kommen, wie ihn die Erde noch nicht gesehen hat. Die Erde wird
erzittern unter dem Donner der Geschütze, die Fluren werden zertreten werden von
den Hufen unzähliger Rosse, in den Lüften werden wir kämpfen müssen und die Wogen
des Meeres werden sich färben vom Blut der Menschen. Es wird ein Ringen sein, fürch-
terlicher als auf den katalaunischen Gefilden, wo Hunnenwut zerbrach am deutschen
Schwerte.‘ So hat es uns ein unbekannt gebliebener Deutscher vor einigen Jahren pro-
phezeit. So ist es eingetroffen.“232
Nachrichten wie diese zeugen von einer einstweiligen Ohnmacht vor dem Aus-
bruch eines europäischen Kriegs, den sich die Grazer Zeitungen (mit Ausnahme
des Arbeiterwillens) im Grunde genommen nicht vorstellen konnten. Im Juli spra-
Schlimmste ist zu befürchten. Und als Sturmvogel der kommenden blutigen Ereignisse, des Bran-
des in ganz Europa, die Ermordung unseres französischen Genossen [Jean] Jaurès, des Mannes,
der in Frankreich so tapfer für den Frieden kämpfte und als Blutopfer seiner Überzeugung fiel.“
229 Am Vorabende des Weltkrieges, in: Grazer Tagblatt, 2.8.1914, 1: „Wir stehen auf dem Kamme
eines Gebirges, das zwei Welten voneinander scheidet: Rückwärts schauend, werfen wir einen
letzten Blick auf das Tal des Friedens, auf die Werke der Kultur und Zivilisation. Vor uns liegt
das von der Furie des Krieges gemarterte Land der Zukunft, das unser Schicksal birgt. Ob unsere
Generation den Weg zurück noch finden wird? Die heute vorliegenden Nachrichten lassen die
Aussichten auf Vermeidung des Weltkrieges aufs tiefste sinken.“
230 Die Stunde schlägt, in: Tagespost, 2.8.1914, 1.
231 Am Vorabende des Weltkrieges, in: Grazer Tagblatt, 2.8.1914, 1.
232 Der Weltbrand, in: Grazer Tagblatt, 4.8.1914, 1.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453