Seite - 181 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Großbritannien und Italien | 181
Seiten Österreich-Ungarns und Deutschlands in den Krieg eintreten werde. Arti-
kel wie „Die Armeen des Weltkrieges“237 oder „Was ist’s mit Italien?“238 lassen diese
Hoffnung erkennen, zumal sie auch nicht den Vorwurf des „Treuebruchs“ bein-
halteten.239 Die Deutsche Zeitung, das Organ der deutschnationalen Pantz-Partei,
war noch Mitte August davon überzeugt, dass Italien „zur rechten Zeit“ auf Seiten
Österreich-Ungarns und Deutschlands in den Krieg eintreten werde.240 In ihren
Augen war daher die Italienkritik von Seiten des Volksblatts unangebracht.241 Das
Volksblatt benütze aus Sicht der Deutschen Zeitung die italienische Neutralitäts-
erklärung nur zu ihrer „Hetze gegen unseren Verbündeten, der sicher besser weiß,
was er zu tun hat, als das ‚Grazer Volksblatt‘, das die nun in allen Kreisen herr-
schende Vaterlandsbegeisterung für seine Zwecke ausnützen möchte, und betreibt
eine gewissenlose Hetze, die ihm wahrlich keine Lorbeeren einbringt.“242 An die-
sem Artikel sieht man zu einem, dass von einem monolithischen Burgfrieden (in
Graz) so nicht gesprochen werden kann, und zum anderen, dass Italiens Neutrali-
tätsentscheid nicht überall öffentlich kritisiert wurde. Zudem spielten einige Mu-
sikkapellen nach wie vor die italienische Hymne243 bei diversen (am Ort verweilen-
den) „patriotischen“ Kundgebungen. Für den Arbeiterwillen hatte die Neutralität
für Italien sogar mehr Vor- als Nachteile, die (wie er noch im September äußerte)
237 Die Armeen des Weltkrieges, in: Grazer Tagblatt, 5.8.1914, 6: „Unser Bundesgenosse Italien ver-
fügt über 14 Armeekorps. Eine italienische Spezialität sind die Alpini-Regimenter, denen Ähn-
liches an Menschenmaterial nur Österreich in seinen Kaiserjägern entgegenzustellen hat. Beim
Übergang über die savoischen Alpenausläufer würde sich diese Truppe gegenüber den französi-
schen Hügelländern sehr bemerkbar machen. Worüber man persönlich nicht unterrichtet ist, das
ist die Tatsache, daß die technischen Truppen Italiens ganz vorzüglich sind. In diesen liegt auch
die Stärke Frankreichs, so daß Italien trotz seiner schmäleren Armee die französische Stoßkraft
paralysieren könnte. Die Feldarmee Italiens beträgt 800.000
Mann. An territorialen Milizen kann
es 2
Millionen aufbringen. Diese Milizen sind indes nicht so hoch einzurechnen wie die der nörd-
lichen Staaten.“
238 Was ist’s mit Italien?, in: Grazer Tagblatt, 10.8.1914 (Abendausgabe), 6: „Auf dem Wiener Süd-
bahnhofe kam es in den letzten Tagen der Abreise einberufener Reservisten aus Italien zu herzli-
chen Verbrüderungsszenen. Die Reservisten wurden von der Bevölkerung ebenso wie die heimi-
schen mit Hochrufen begrüßt, die sie freudig erwiderten, und mit Lebensmitteln beteilt.“
239 Urteilte die Grazer Berichterstattung über Italiens Entscheid zur Neutralität einigermaßen ver-
halten, so kriminalisierten die Grazer Redaktionen Italiens Kriegseintritt (1915) scharf, vgl.
für das Jahr 1915 die Arbeiten von: Pilch (2004); Bachmann (1972), 45–49. Zum italienischen
Kriegseintritt: Überegger (2007).
240 Die Kriegshetze des „Grazer Volksblattes“, in: Deutsche Zeitung, 16.8.1914, 5.
241 Vgl. z. B. Italiens Extratour?, in: Grazer Volksblatt, 7.8.1914 (12-Uhr-Ausgabe), 1.
242 Die Kriegshetze des „Grazer Volksblattes“, in: Deutsche Zeitung, 16.8.1914, 5.
243 Patriotische Kundgebungen beim gestrigen Belgier-Konzert, in: Grazer Tagblatt, 7.8.1914, 9.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453