Seite - 182 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof182
ökonomischen Abwägungen entspringen würden.244 Seit Ende Juli erhofften sich
die Grazer Redaktionen mittels Korrespondenznachrichten245 – aber ohne Wissen
um die Beschlüsse des gemeinsamen Ministerrats246 – von Großbritannien, dass es
seine Vermittlungsbemühungen intensiviere oder wenigstens fortsetze: „Der engli-
sche Minister des Äußeren ist fortgesetzt tätig, um Rußland zur Nichteinmischung
zu veranlassen und so den Weltfrieden zu erhalten.“247 Der mit Hoffnung verbun-
dene Blick nach London zeigt dabei unverkennbar, dass ein etwaiger Kriegseintritt
Großbritanniens mit (verklausuliert ausgesprochenen) Ängsten korrelierte. Wie
sehr man von Seiten der Redaktionen auf Großbritanniens Friedensbemühungen
sowie auf dessen Nichteintreten hoffte, zeigte sich nicht zuletzt darin, wie sie das
britische Ultimatum und die britische Mobilmachung (3. August) kommentierte.
Die Presse kritisierte zwar diese Schritte, aber eine kaum steigerungsfähige Ver-
urteilung, wie man sie wenige Tage zuvor der russischen Generalmobilmachung
(seit 1. August in Graz bekannt) zukommen ließ, blieb definitiv aus. Großbritan-
niens Entscheid zum Ultimatum und zur Mobilmachung dämpften auch nicht die
Hoffnung, dass sich Großbritannien weiterhin um die (territoriale) Lokalisierung
bemühen werde. Hält man sich noch einmal die Artikel hinsichtlich der russischen
Generalmobilmachung vor Augen, besiegelten diese über alle Redaktionsgrenzen
hinweg die russisch-serbische Kriegsverantwortung. Bei Großbritannien ließen
die Zeitungen dagegen in Anbetracht der wachsenden Gefahr eines (noch größe-
ren) Weltkriegs durchaus „Milde“ walten. Exemplarisch sei auf den Arbeiterwillen
verwiesen, der zum Beispiel einen Tag nach dem britischen Ultimatum seine Lo-
kalisierungshoffnungen erneuerte:
„Man hofft noch, da zur Stunde die Rede des englischen Ministers des Äußern noch
nicht vorliegt, daß England neutral bleiben werde – was hoffst du nicht noch alles, armes
Menschenherz, um dich vielleicht doch wieder eine halbe Stunde später schmerzlich
zusammenzukrampfen, wenn auch diese Hoffnung durch die trockenen Worte eines
Telegrammes aus Paris, London oder Berlin niedergeschmettert sein wird! Mobilisie-
rung hier, Mobilisierung dort, Mobilisierung überall in ganz Europa, Gefechte, Bomben-
würfe, Beschießungen – und dennoch will man es noch immer noch nicht glauben, daß
244 Bachmann (1972), 59. Zusätzlich dazu vgl. folgenden Artikel: Wirtschaftliche Gründe für Italiens
Haltung, in: Arbeiterwille, 1.9.1914, 3.
245 Ablehnung des englischen Vorschlages durch Österreich, in: Grazer Tagblatt, 29.7.1914, 11.
246 Am 31. Juli 1914 entschied der gemeinsame Ministerrat Österreich-Ungarns, das britische Ver-
mittlungsangebot zurückzuweisen, vgl. Rauchensteiner (2013), 136.
247 Fortgesetzte Verhandlungen wegen Lokalisierung des Krieges, in: Arbeiterwille, 30.7.1914
(Abendausgabe), 1.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453