Seite - 189 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Nach dem Truppenabmarsch am 11. August | 189
Blut! Seid wie bisher Männer und keine Weiber, laßt euch nicht ins Bockshorn jagen und
habt die Augen offen, wie es eure Schuldigkeit ist.“284
Negative Stimmungslagen riefen auch die an den Pranger gestellten Grazer
„Lebensmittelwucherer“285 hervor, die in ihren Geschäften oder an den Markt-
bänken verteuerte Waren anboten. Daneben mussten die Grazer und Grazerinnen
bereits vor dem 11. August erfahren, dass ihre Spendengelder teilweise von ein-
heimischen Männern und Frauen aus der Mitte der Grazer Bevölkerung unter-
schlagen wurden.286 Zieht man all das zusammen, erscheint es erstaunlich, dass
sich die Kritik am „Schwarzseher“ erst seit den Septembertagen vermehrt in den
Zeitungen finden ließ.287
Vor diesem Hintergrund spielte sich der erste große Truppenabmarsch aus Graz
ab. Den ganzen Tag über zogen die Truppen zum Bahnhof. Von dort ging es weiter
in den „Süden“ (eine Front als solche gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht).288
Einige Truppenkörper marschierten über die Herrengasse zum Hauptplatz und
von dort weiter durch die Annenstraße bis zum Hauptbahnhof. Viele Grazerin-
nen und Grazer begleiteten die einzelnen Soldatenzüge, um sich von den Soldaten
zu verabschieden. Ebenso kann angenommen werden, dass viele Menschen aus
den direkt an Graz anschließenden „Umgebungsgemeinden“ wie Eggenberg und
Wetzelsdorf kamen. Schlussendlich gingen an diesem Tag mehr Menschen denn
je zuvor auf die Straße. Der Kleinen Zeitung zufolge habe man so viele Menschen
„soweit Menschen sich erinnern können, wohl noch nie in der steirischen Lan-
284 Ein nachahmenswerter Erlaß gegen die verrückte Spionenfurcht, in: Arbeiterwille, 11.8.1914
(Abendausgabe), 2.
285 Ein Lebensmittelwucherer vor Gericht, in: Arbeiterwille, 7.8.1914 (Abendausgabe), 3.
286 Siehe das Kapitel: Diebstahl und Betrug.
287 Vgl. drei Artikel im Tagblatt: An die Herren Schwarzseher!, in: Grazer Tagblatt, 18.9.1914
(2. Morgenausgabe), 5; Gegen die Schwarzseher, in: Grazer Tagblatt, 22.9.1914 (Abendausgabe),
2; Krieg den Mießmachern und Tratschmäulern, in: Grazer Tagblatt, 24.11.1914 (2. Morgenaus-
gabe), 3. Vgl. auch Peter Roseggers Stellungnahme, der zufolge dieses Gerede „altweibisch“ sei:
„Jetzt meide ich die Leute fast gänzlich. Es wird mir überall zu viel räsoniert und geschimpft. Das
tut kein gut [sic]. Nicht, als ob man sein Empfinden ganz verschwiegen sollte. Aber das sich über
alles Ausbreiten in Raunzen und Schmähen und Verleumden, das ist nicht mannhaft. Das ist
altweibisch.“ Aus: Heimgärtners Tagebuch, in: Heimgarten (1915), Nr. 4, 294.
288 Am 12.
August 1914 begann die von Oskar Potiorek (Oberkommandant der „Balkanstreitkräfte“
bzw. ehemaliger Landeschef von Bosnien und Herzegowina) geleitete Offensive gegen Nordwest-
und Westserbien mittels dreier Armeen, wobei nach kurzer Zeit eine Armee nach Galizien ver-
legt wurde. Die militärisch katastrophal verlaufende Offensive kennzeichneten auch zahlreiche
Kriegsgräuel an der Zivilbevölkerung. Vgl. Holzer (22014); Überegger (2009).
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453