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Abschiedsszenen | 199
Meiner Meinung nach wurden der weinenden Mutter ein entschieden „pflicht-
bewusster“, weil ruhiger und gelassener Vater sowie siegesgewisse und sorgenfreie
Soldaten entgegengehalten. Die omnipräsenten Schilderungen von weinenden
Frauen333 lassen sich daher auch (aber aus meiner Sicht nicht ausschließlich) „als
rhetorischer Kontrast zur Hervorhebung männlicher Entschlossenheit“ verste-
hen.334 Es fällt nämlich auf, dass man Frauen im Allgemeinen als Individuen ansah,
die nicht „Herr“ über ihre Leidenschaften, Emotionen und Gefühle wären. Dies sei
an einem Artikel, den Anton Gitschthaler (Redakteur der Tagespost)335 verfasste,
dargestellt. Abgedruckt wurde er auch in der Grazer Montags-Zeitung:
333 Ich verweise hier noch einmal auf den langen Artikel „Abschied!“ des Grazer Volksblatts. Auch
in ihm finden sich Bezüge auf das Weinen der Frauen (nicht der Soldaten): „und tränenfeuch-
tes Auges geht [... die Mutter] zurück“; „tränenfeuchte Blicke“; „Lachen und Weinen, Jubelrufe
und stilles Grüßen begleitete die Soldaten bis zu den blumengeschmückten Waggons.“ Aus: Ab-
schied!, in: Grazer Volksblatt, 11.8.1914 (12-Uhr-Ausgabe), 2.
334 Raithel (1996), 423 f.
335 Anton Gitschthaler (1868–1939), Schriftsteller und Journalist, war von 1903 bis 1933 Redakteur
der (Grazer) Tagespost.
Abb. 3 Hiebe für die Serben, in: Kleine Zeitung, 29.7.1914, 9.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453