Seite - 209 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Kaiserfeiern rund um den 18. August | 209
Geschäftsauslagen.379 Der Grazer Mittelstand trug daher enorm zum staatsloyalen
und militarisierten Stadtbild bei. Schließlich schmückte er des Öfteren seine Aus-
lagen mit käuflich erwerblichen Abzeichen, Ansichtskarten, Kriegshüten, Kriegs-
torten, Malereien, Landkarten, Kriegsgeschirr, Kriegsspielzeug, Marschpartituren,
Tisch- und Wanddecken mit patriotischen und/oder militärischen Darstellungen,
Vivatbändern, Votivbildern und vielem mehr.380 Alle diese „patriotischen“ Erzeug-
nisse schrieben eine gewisse Vorstellung von „Krieg“ visuell sowie haptisch und
manchmal akustisch in den Alltag ein. Die Produktion dieser (privatwirtschaft-
lichen) Devotionalien ging zudem auf keine staatliche Planung zurück.381 Sie er-
folgte von „unten“. Besondere Aufmerksamkeit erhielten freilich die Auslagen der
großen Ausstattungshäuser. An erster Stelle sind hier die Schaufenster des Mo-
dehauses Kastner & Öhler sowie jene des Ausstattungshauses Emil Kraft & Co
zu nennen. Mehrfach wurden ihre Auslagen von den bürgerlichen Zeitungen be-
schrieben und mehrfach legten die Redaktionen der Grazer Bevölkerung nahe,
dass man sie sich ansehen sollte:
„Unter einem Baldachi[n] aus schwarz-gelbem Seidenplüsch sieht man [in der Auslage
des Kastner & Öhler] ein gelungenes großes Kaiserbild mit hübschen Blattpflanzen.
Rechts und links die ‚Austria‘ und ‚Hungaria‘ in schimmernder Wehr. Historische Sol-
datentrachten der Fußtruppen aus dem Jahre 1848 sowie ein Soldat aus dem Weltkrieg
1914 verkörpern die ruhmgekrönte Armee. Die allseits bewunderte Ausstellung ist nur
noch heute und morgen zu sehen.“382
Es irritiert auch wenig, dass hauptsächlich (aber nicht ausschließlich383) die
deutschnationalen Zeitungen die Auslagen des Ausstattungshauses Emil Kraft
& Co beschrieben. Schließlich war Emil Kraft384 bereits damals ein anerkannter
Deutschnationaler. Anlässlich der (österreichisch-ungarischen) Kaiserfeier im
August 1914 stellte er beispielsweise eine mit Lorbeeren umkränzte Kaiserbüste
aus. Vor dieser kniete eine weißgekleidete Ausstellungspuppe, die dem Kaiser ei-
379 Kaisers Geburtstag und die Grazer Geschäftswelt, in: Grazer Tagblatt, 18.8.1914 (Abendausgabe),
2.
380 Über diese Kriegsdevotionalien berichtete man mehrmals in den bürgerlichen Zeitungen, vgl.
etwa: Der Krieg im Zuckerladen, in: Grazer Mittags-Zeitung, 24.10.1914, 3.
381 Bürgschwentner (2014), 289.
382 Unter Habsburgs Doppelaar, in: Grazer Tagblatt, 5.10.1914 (Abendausgabe), 4.
383 Eine patriotisch ausgeschmückte Auslage, in: Grazer Volksblatt, 8.8.1914 (12-Uhr-Ausgabe), 3.
384 Emil Kraft (1965–1931), Geschäftsmann und Politiker, war seit 1911 Reichratsabgeordneter und
zwischen 1922 und 1923 Minister für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453