Seite - 211 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Kaiserfeiern rund um den 18. August | 211
willen berichteten einige bürgerliche Blätter über diese aufsehenerregende Form
der Beflaggung. Wer genau die Fahnen auf den Kirchen hisste, ist unklar, zumal
„mehrere“ Namen in den bürgerlichen Zeitungen genannt wurden. Entscheidend
ist für mich hierbei, dass es deshalb zu (erneut sich untereinander widersprechen-
den) Richtigstellungen kam. An diesen Artikeln zeigt sich das mehrfach in diesen
Tagen greifbare Heroenbedürfnis bzw. der Wunsch, dass „patriotisch“ eingestufte
Handlungen gewürdigt werden und schon gar nicht verdreht dargestellt werden
dürfen. Auf dem Turm der Herz-Jesu-Kirche hisste anscheinend Franz Kritzinger,
Inhaber eines Grazer Installationsgeschäfts und „Spezialist im Turmsteigen“, eine
schwarz-gelbe und eine schwarz-weiß-rote Fahne, was von einer „große[n] Men-
schenmenge“ mitverfolgt wurde.389 So stand es zumindest in der Mittags-Zeitung.
Das Volksblatt schrieb hingegen, dass es einer seiner Lehrlinge war.390 Nun zur
Franziskanerkirche: Der Mittags-Zeitung zufolge habe jener Spenglerlehrling, der
die Fahnen auf der Spitze der Franziskanerkirche am 18. August aufhängte, diese
am Abend des 26. August wieder eingeholt. Zuvor schwang er noch die Fahnen
und die sich unten „angesammelte Menge brachte dem kühnen Steiger begeisterte
Hoch- und Heilrufe entgegen.“391 Anfang September ließ jedoch der Elektroinstal-
lateur Jakob Trattner im Tagblatt verlautbaren, dass er und nicht wie in einer an-
deren Zeitung fälschlicherweise behauptet wurde ein anderer am Tage der Kaiser-
feier die Fahne auf der Franziskanerkirche hisste.392 Auf das gleiche Ergebnis kam
auch das Volksblatt.393 Richtigstellungen wie diese wurden auf der einen Seite von
Privatpersonen, auf der anderen Seite von Vereinen und staatlichen Organisatio-
nen vorgenommen. Ende September teilte beispielsweise der Veteranenverein im
Schwarzautale dem Tagblatt mit394, dass er und nicht wie vom Tagblatt fälschlich395
ausgewiesen der Veteranenverein in Lebring dem Grazer Frauenhilfskomitee 1.500
Kilogramm Äpfel spendete.
389 Am Vorabend von Kaisers Geburtstag, in: Grazer Tagblatt, 18.8.1914, 2.
390 Ehre, dem Ehre gebührt, in: Grazer Volksblatt, 4.9.1914 [Morgenausgabe, Nr. 422], 4. Zur „küh-
nen“ Fahnenabnahme am 24. August vgl. Ein mutiger Turmkletterer, in: Grazer Volksblatt,
24.8.1914 (18-Uhr-Ausgabe), 2.
391 Fahnenabnahme, in: Grazer Mittags-Zeitung, 27.8.1914, 3.
392 Ein Turmsteiger, in: Grazer Tagblatt, 4.9.1914, 3.
393 Ehre, dem Ehre gebührt, in: Grazer Volksblatt, 4.9.1914 [Morgenausgabe, Nr. 422], 4.
394 Der Veteranenverein im Schwarzautale, in: Grazer Tagblatt, 24.9.1914 (2. Morgenausgabe), 4.
395 Nachahmenswerte Spenden, in: Grazer Tagblatt, 20.9.1914, 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453