Seite - 213 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Ein „Denkmalfrevel“ | 213
und Zitronensaft zu entfernen. Danach schliff das Stadtbauamt die Tintenflecke
auf dem Sockel ab. Außerdem wandte man sich an Professor Carl Kundmann in
Wien, den Bildhauer des Denkmals, und fragte ihn, ob man auch die Marmorsitz-
figur abschleifen dürfe. Des Weiteren beauftragte das Stadtbauamt zwei Chemiker
der Universität Graz mit der Reinigung. Anfang September konnten die Reini-
gungsarbeiten erfolgreich beendet werden. Die „Besudelung“ quittierte die bür-
gerliche Presse mit Argwohn. Insbesondere das radikal deutschnationale Tagblatt
verfolgte die Beschmutzung bis zur Reinigung mit mehreren Artikeln. Im Grunde
genommen erkennt man an der minutiösen und ausführlichen Berichterstattung,
wie sehr sich das deutschnationale Milieu oder zumindest die deutschnationalen
Zeitungen über diesen „Denkmalfrevel“ empörten. Der Arbeiterwille brachte mit
Ausnahme der Meldung bezüglich der 100-Kronen-Belohnung keine weiteren Be-
richte.402 Warum man das Denkmal mit schwarzer Tinte überzog, bleibt fraglich.
Fest steht aber, dass das Jahr 1914 ein Hamerling-Jubiläumsjahr war. Der 25. To-
destag am 13. Juli 1914 wurde nicht nur in Graz und in der Steiermark, sondern
auch in anderen Teilen der cisleithanischen Reichshälfte gefeiert (so realisierte
man eine Robert-Hamerling-Gasse in Mödling403). Die Grazer Jubiläumsfeiern
umfassten eine Kranzniederlegung an Hamerlings Grab (Leonhardfriedhof) und
eine Gedenkfeier im Gasthaus „1. Fuchswirt“ (auf der Ries).404 Zudem schmückte
man das Denkmal im Stadtpark sowie die Gedenktafeln in der Hamerlinggasse
und beim „1. Fuchswirt“. Der Arbeiterwille beteiligte sich nicht am Hamerling-
Jubiläumsjahr. Selbst sein einziger auf Hamerling bezugnehmender Juli-Artikel
enthielt sich einer Autoren-Glorifizierung. Vielmehr schien in diesem Artikel,
der eine Replik auf einen Artikel des Tagblatts405 darstellte, eine wohldosierte und
blasiert formulierte Ablehnung gegenüber Hamerlings Lebens- und Schreibstil
durch.406 Als das Robert-Hamerling-Denkmal im August 1915 erneut „besudelt“
wurde, wiederholte sich die Prozedur mehr oder weniger eins zu eins.407 Wieder
wurde eine 100-Kronen-Belohnung in Aussicht gestellt, wieder fand man keine
Täter und erneut riefen die deutschnationalen Zeitungen mit Argwohn vorange-
gangene (und gegen das deutschnationale Milieu gerichtete) Denkmalbeschädi-
402 100 Kronen Belohnung, in: Arbeiterwille, 22.8.1914, 3.
403 Eine Robert-Hamerling-Gasse in Mödling, in: Grazer Tagblatt, 24.7.1914, 2.
404 Zum 25. Todestage Robert Hamerlings, in: Grazer Tagblatt, 10.7.1914, 4; Zum 25. Todestage Ro-
bert Hamerlings, in: Grazer Tagblatt, 12.7.1914, 2.
405 Robert Hamerling und die Frauen, in: Grazer Tagblatt, 14.7.1914, 1.
406 Hamerling und die Frauen, in: Arbeiterwille, 29.7.1914, 3.
407 Besudelung des Hamerling-Denkmales im Stadtparke, in: Grazer Tagblatt, 17.8.1915 (Abendaus-
gabe), 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453