Seite - 215 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
Bild der Seite - 215 -
Text der Seite - 215 -
Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie | 215
eine bevorstehende „Entscheidungsschlacht“ (spätestens aber im Frühling) been-
det werden würde. Das mehrmalige Hervorheben des Frühlings als Moment der
Erneuerung oder des Erwachens sei anhand der Tagespost demonstriert:
• „Die Zukunft des Reiches steht in einem glückverheißenden Zeichen, im Zeichen
der Einigkeit und Treue, der gegenseitigen Liebe und Achtung. Von dieser strah-
lenden Zukunft, von diesem Reichsfrühling trennt uns aber noch der Riesenkampf
im Osten und Westen.“413
• „Diese Tage werden an uns vorüber gehen. Wir säen jetzt bald das Winterkorn auf
den Acker; wenn es aufgrünt im nächsten Frühjahr, wird der Sturm vorbei sein.“414
Die Zeit bis dorthin müsse – wie es in einem anderen Artikel der Tagespost hieß
– „eben durchgehalten werden“.415 Für den Arbeiterwillen zählte gerade die Wirk-
mächtigkeit der Waffen als Argument für die kurze Kriegsdauer. So sind die „mo-
dernen Kriege“ aufgrund der „Vervollkommnung der Kriegswerkzeuge“ zwar
„furchtbarer, aber zugleich kürzer geworden.“416 Gegenteiliges wurde nur selten
geäußert. So ließ zum Beispiel die Grazer Montags-Zeitung die bange „Frage über
den Ausgang des Kriegs, der fast ganz Europa mit seinen Schrecken zu erfüllen
beginnt“, sowie jene hinsichtlich der Kriegsdauer offen.417 Der Glaube an den Sieg
war in den bürgerlichen Tageszeitungen weit verbreitet: „Sieg! Sieg! Der konzent-
rische Vormarsch auf Paris.“418 Wenngleich die bürgerliche Tagespresse jede mili-
tärische Aktion der k. u. k. Truppen als „heldenhaft“ und „ruhmreich“ darstellte,
mahnte sie dauernd die Grazer Bevölkerung vor einer voreiligen Siegeszuversicht.
Außerdem versuchte sie mittels einiger historischer Rekurse entlang von 1717,
1809, 1813, 1848, 1859, 1866 und 1870/71 „zu zeigen, wie unbegründet die Unge-
duld der Bevölkerung“419 sei. Ferner kolportierte sie, dass die als klein erachteten
August-Kampfhandlungen noch zu den langen Aufmarschzeiten der Armeen ge-
hörten, sodass den Siegesnachrichten keine „blinde“ Siegeszuversicht folgen dürfe.
Davon war auch der Arbeiterwille überzeugt. Exemplarisch sei hier auf zwei Arti-
413 Arbeit!, in: Tagespost, 14.8.1914, 1.
414 Arbeit und Vertrauen, in: Tagespost, 23.8.1914, 1. Diesen Leitartikel verfasste Peter Rosegger.
415 Auf zur Arbeit!, in: Tagespost, 8.8.1914, 1.
416 Zeitdauer moderner Kriege, in: Arbeiterwille, 6.9.1914, 9.
417 Die Dauer der letzten Kriege, in: Grazer Montags-Zeitung, 17.8.1914, [ohne Seitenangabe].
418 Sieg! Sieg! Der konzentrische Vormarsch auf Paris, in: Grazer Tagblatt, 24.8.1914 (Abendaus-
gabe), 1.
419 Nur keine Ungeduld!, in: Grazer Volksblatt, 2.8.1914, 3. Zwei dieser historischen Verweise finden
sich z.
B. in: Wie Prinz Eugen Stadt und Festung Belgerad [sic] nahm, in: Grazer Mittags-Zeitung,
19.8.1914, 3; 1848–1914. Unseren Feinden!, in: Grazer Mittags-Zeitung, 15.10.1914, 4.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453