Seite - 219 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie | 219
noch nach dem Kriege, was sie vor [... dem Kriege] war: Die größte, die geschlossenste
Partei, die sich nicht irre machen läßt durch leere Worte und billige Vertröstungen. Sie
erfüllt jetzt ihre Pflicht, aber sie verlangt hinfort auch ihr Recht!“437
Es war nicht nur der Arbeiterwille, der eine Ungewissheit in puncto Kriegsaus-
gang äußerte. Im Grunde lassen sich derartige Zurückhaltungen auch in einigen
Wochenzeitungen und Monatsschriften finden. Darstellen möchte ich dies am (ka-
tholischen) Sonntagsboten sowie am (evangelischen) Kirchenboten. Beide Publi-
kationsorgane traten unentwegt für den „Verteidigungskrieg“ ein und sie standen
dem Kaiser, der Regierung und dem Militär loyal gegenüber. All dessen ungeachtet
finden sich in diesen beiden Publikationsorganen Stellungnahmen, die eine redak-
tionelle Ungewissheit im Hinblick auf den Kriegsausgang erkennen lassen. Der
(evangelische) Grazer Kirchenbote erkannte zwar wegen der „tiefernste[n] Über-
zeugung“, dass der Krieg „eine gerechte, reine und heilige Sache“ sei, den „Wille[n]
zum Sieg“, aber den Kriegsausgang vermochte er nicht zu konkretisieren.438 Und
im katholischen Sonntagsboten stand schwarz auf weiß:
„Nun hat Gott das Furchtbare zur Tatsache werden lassen, an das man bisher nur mit
Furcht und Grauen gedacht hat: Die Großmächte Europas, die seit Jahren fieberhaft ihre
Armeen gerüstet und mit furchtbarsten Waffen ausgestattet haben, die Großmächte Eu-
ropas, die schon seit Jahren in höchster Spannung einander gegenüberstanden, sind nun
miteinander in einen schrecklichen Krieg verwickelt, dessen endgültiger Ausgang ge-
genwärtig noch nicht vorausgesagt werden kann.“439
Die Berichterstattung hinsichtlich der „modernen“ Waffen- und Aufklärungstech-
nik war von einem permanenten Hin und Her mit Zwischentönen gekennzeichnet.
Konkret pendelte dieses Hin und Her zwischen einer Glorifizierung (respektive
Faszination) und einer Abscheu: „Menschenmillionen werden mit den raffinier-
testen Mordwaffen sich gegeneinander werfen, unsägliches Weh und Elend wird
über ganz Europa einbrechen, Milliardenwerte werden vernichtet.“440 Diese Ex-
tremlagen färbten sich in der Grazer Presse, wie auch in der englischen oder
deutschen Presse441, vielfach gegenseitig ein. Ein derartiges Verschwimmen der
Konturen fand sich nicht nur quer durch die Grazer Presselandschaft, sondern
437 Ebd.
438 Nachrichten des linken Murufers, in: Grazer Kirchenbote, 1.9.1914, 71.
439 Der Krieg, in: Sonntagsbote, 9.8.1914, 1.
440 Nach der englischen Kriegserklärung!, in: Grazer Volksblatt, 6.8.1914, 1.
441 Reimann (2000), 258.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453