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Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie | 221
„sehr üble Verwundungen“ verursachten.449 Konträr dazu sei zum Beispiel unter
den aufgebotenen Waffen das russische Infanteriegewehr human (!), „soweit man
diese Bezeichnung für ein Werkzeug der Vernichtung gebrauchen kann.“450 Nichts-
destoweniger veröffentlichten die Zeitungen Artikel, die Gegenteiliges postulier-
ten. Hier zeigt sich deutlich, wie sehr es an einschneidenden Kriegserfahrungen
mangelte. Das radikal deutschnationale Tagblatt schrieb beispielsweise mehrmals,
dass der Krieg eine „Erlösung“ sei. Auf der anderen Seite sprach es auch von den
nicht abschätzbaren „Folgen des furchtbaren Millionenringens“.451 Der Arbeiter-
wille druckte ebenso Artikel, in denen es hieß, dass die „Vervollkommnung der
Feuerwaffen [...] zu einer vollständigen Umgestaltung der Kriegskunst“ führte.452
Aus diesem Grund stimme „die alte Wahrheit“, dass nicht jede Kugel trifft, mehr
denn je.453 Außerdem komme es aufgrund der „Neuartigkeit“ des Kriegs nur mehr
selten zu Nahgefechten. In anderen Artikeln betonte der Arbeiterwille, dass der
Krieg enormes Leid mit sich bringen würde. Am 7.
August schrieb er zum Beispiel:
„Grau und düster liegt die Stadt. Kein Haus, das verschont wäre von dem stummen
großen Leid, keine Familie, die nicht fürchten müßte für ihre Ernährer. Aus tausen-
den Frauenaugen blickt die furchtbare Sorge um das tägliche Brot. Unzählige Existenzen
werden zerschellt sein, bevor noch der erste Kugelhagel in die Heerhaufen einschlagen
wird. Krieg, Krieg… […] Millionen werden verbluten müssen, Kinder werden ihre Er-
nährer verlieren.“454
Diese Ambivalenz in puncto Waffentechnik fand sich auch in den Wochenzeitun-
gen und Monatszeitschriften. Anfang August bezeichnete beispielsweise die Gra-
zer Montags-Zeitung den Krieg als „das furchtbarste Ereignis der Geschichte“, da
bereits jetzt „über 20 Millionen Mann aufgeboten [wurden], um an dem allgemei-
nen Gemetzel teilzunehmen.“455 Solche Tonlagen standen in der Montags-Zeitung
neben Stellungnahmen, die komplett das Gegenteil kolportierten.
449 Die Verwundungen durch Dum-Dum-Geschosse, in: Grazer Mittags-Zeitung, 8.10.1914, 4.
450 Das russische Infanteriegewehr, in: Tagespost, 11.9.1914 (12-Uhr-Ausgabe), [ohne Seitenan-
gabe].
451 Ein Besuch im Grazer Garnisonsspital, in: Grazer Tagblatt, 8.9.1914, 5.
452 Die wievielte Kugel tötet im modernen Kriege?, in: Arbeiterwille, 4.8.1914 (Abendausgabe), 3.
Dieser Artikel, dessen Herkunft mir unbekannt ist, zirkulierte mehrfach auf die eine oder andere
Weise in den deutschsprachigen Zeitungen der Monarchie.
453 Die wievielte Kugel tötet im modernen Kriege?, in: Arbeiterwille, 4.8.1914 (Abendausgabe), 3.
454 Krieg, Krieg …, in: Arbeiterwille, 7.8.1914 (Abendausgabe), 4.
455 Der Weltkrieg, in: Grazer Montags-Zeitung, 3.8.1914, 1.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453