Seite - 226 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof226
Konkrete Grazer Maßnahmen zur Drosselung der „nervenaufreibenden“ Er-
regtheit manifestierten sich in der vom Grazer Polizei-Direktor Lothar Weyda von
Lehrhofen478 verordneten Einstellung der Zeitungskolportage auf der Straße.479
Die Kolportage (das heißt: das Ausrufen, Verteilen und Feilbieten von Zeitungen)
war (eigentlich) seit 1848 verboten. Am 11. August 1914 wurde durch kaiserli-
che Verordnung die Kolportage von Sonderausgaben (periodischer Druckschrif-
ten) – sofern sie ausschließlich über die Kriegsereignisse informierten und den
Zensurvorschriften folgten – wieder zugelassen.480 Die Sonderausgaben erhielten
aufgrund einer Regelung der cisleithanischen Regierung481 einen Preisaufschlag
von 2 Heller für die Kriegsfürsorge.482 Ungeachtet dessen verkaufte man in Graz
weiterhin Zeitungen auf der Straße. Daraufhin gingen die Polizei und die Grazer
Wache verschärft gegen die Zeitungskolportage vor. Als Grund hierfür nannte das
Tagblatt, dass die vielen Zeitungen „zu einer Belästigung und Überhaltung“ der
Bevölkerung führten.483 Die polizeilichen Maßnahmen hatten eine Reduktion der
Zeitungsverkaufsstellen auf die „16 neuerrichteten Zeitungspavillons und [die]
üblichen Verschleißstellen“ zur Folge.484 Die neuen und von der Grazer Zeitungs-
Expedition Josef A.
Kienreich (Sackstraße) errichteten/betriebenen Pavillons stan-
den am Hauptplatz, Bismarckplatz, Jakominiplatz, Kaiser-Josef-Platz, Franzens-
platz (heute: Freiheitsplatz), Geidorfplatz, Griesplatz, Murplatz, Lendplatz, beim
Landhaus, beim Stadttheater (Oper), beim Café Hilmteich, in der Annenstraße
(2x) sowie an der Ecke Brandhofgasse/Leonhardgasse.485 Dort konnte man die Zei-
tungen mit einem Preisaufschlag von 2 Heller (für die Kriegsfürsorge) erstehen.
Außerdem einigten sich die Grazer Tageszeitungen darauf, dass sie trotz dieser
finanzlukrativen Zeit weiterhin an Montagen keine Morgenausgaben (sondern nur
„Abendausgaben“) herausgaben.486 Alle diese Regelungen konnten die „nerven-
478 Erschlossen mittels: Personal-Standesausweis der k. k. politischen Behörden im Herzogtume
Steiermark, der angegliederten Behörden und amtlichen Organe (1914), 46 und (1915), 47.
479 Vgl. z. B. Der Einstellung der Straßenkolportage bevorstehend, in: Arbeiterwille, 25.8.1914, 3.
480 RGBl. Nr. 215/1914.
481 Wien, 12. August. (Kolportage von Sonderausgaben periodischer Druckschriften.), in: Wiener
Zeitung, 13.8.1914, 4.
482 Besteuerung der Sonderausgaben über Kriegsereignisse, in: Neue Freie Presse, 13.8.1914, 6; Eine
Abgabe für Extraausgaben der Zeitungen, in: Arbeiterwille, 13.8.1914 (Abendausgabe), 3.
483 Einstellung der Kolportage, in: Grazer Tagblatt, 25.8.1914, 3.
484 Einladung zum Bezuge der „Grazer Mittags-Zeitung“, in: Grazer Mittags-Zeitung, 26.8.1914, 2.
485 An unsere Leser!, in: Grazer Tagblatt, 27.8.1914, 2; Neue Verkaufsstellen für Zeitungen und Son-
derausgaben des „Arbeiterwille“, in: Arbeiterwille, 27.8.1914, 3; Neue Verkaufsstellen der Grazer
Tagesblätter infolge des teilweisen Kolportageverbotes, in: Grazer Tagblatt, 27.8.1914, 3.
486 Diese Abendausgaben erschienen in der Regel am Nachmittag.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453