Seite - 228 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof228
Druckschriften drei Stunden vorher abgegeben werden (z. B. in Salzburg495). Viele
österreichisch-ungarische Zeitungen erkannten diese Schieflage und entrüsteten
sich darüber. Besonders deutlich stellt sich dieser Sachverhalt in einem Artikel des
zweimal in der Woche erscheinenden Znaimer Wochenblatts, das im mährischen
Znaim (Znojmo) gedruckt wurde, dar:
„Die Präventivzensur, die von der Regierung den Zeitungen auferlegt wurde, wird nicht
in allen Kronländern in gleicher Weise gehandhabt. In Steiermark hat Statthalter Graf
Clary eine Kundmachung erlassen, der zufolge die Blätter verhalten werden, ihre Pflicht-
exemplare eine Stunde vor dem Erscheinen der Behörde vorzulegen. Eine ähnliche Ver-
fügung steht, wie aus Wien gemeldet wird, auch für die Wiener Blätter bevor. In Mähren
beträgt diese Frist drei Stunden. Wir wollen hoffen, daß auch den mährischen Blättern in
dieser ernsten Zeit die Möglichkeit geboten werden wird, ihren publizistischen Pflichten
voll nachzukommen und das Publikum rechtzeitig und eingehend über alle Vorgänge im
Süden zu unterrichten. Eine dreistündige Präventivzensur in Mähren bei einer bloß ein-
stündigen in Wien würde nicht nur eine materielle Schädigung der heimischen Presse
bedeuten, sondern vor allem die Zeitungen behindern, das Verlangen der Bevölkerung,
die auf die neuesten Nachrichten vom Kriegsschauplatze mit fieberhafter Spannung war-
tet, zu befriedigen.“496
Die seitenreichen Grazer Tageszeitungen mussten, wie gesagt, seit Ende Juli eine
Stunde vorher abgegeben werden und sofern keine telefonische Zensurberichti-
gung erfolgte, kamen die Zeitungen unverändert in den Druck. Der Arbeiterwille
meldete einmal, dass der Nachtredakteur des Volksblatts wegen einer „Amtseh-
renbeleidigung“ vor das Bezirksgericht erscheinen musste.497 Der Nachtredakteur
habe nämlich am Telefon zum Zensurbeamten (am anderen Ende der Leitung)
gesagt: „Lecko mio di quadrato“. Vor Gericht bestritt der Redakteur, dass er diese
Aussage je getätigt habe. Man glaubte ihm nicht und er musste 30 Kronen zahlen.
Des Weiteren sei vermerkt, dass auch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs Zeitun-
gen (nachträglich) zensiert und manchmal zur Gänze eingezogen wurden. Wenige
Tage vor dem Sarajevoer Attentat zensierte zum Beispiel die Staatsanwaltschaft ei-
nen Artikel des Arbeiterwillens mit der Begründung, dass einige Zeilen den Tat-
bestand „Beleidigung von Mitgliedern des kaiserlichen Hauses“ (§ 64 des zivilen
495 Dohle (2014), 29.
496 Die Präventivzensur, in: Znaimer Wochenblatt, 1.8.1914, 7.
497 Siehe den Vorfall in der Rubrik „Gerichtssaal“ des Arbeiterwillens: Ordinärheiten durchs Tele-
phon, in: Arbeiterwille, 2.10.1914, 5.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453