Seite - 231 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Präventivzensur | 231
Die Diffamierung der „Slowenen“ oder der „Böhmen“ wurde nur teilweise zen-
siert. Zudem wurde das Grazer Wochenblatt einige Male beschlagnahmt.511 Im
Kriegsjahr 1914 wurde jedoch kein Grazer Publikationsorgan verboten. Anders
dagegen in Krain (Dežela Kranjska), wo die Behörden einige nicht deutschspra-
chige Zeitungen einstellten. Ebenso wurden mehrere Romane verboten.512 In Böh-
men wurden nicht nur tschechischsprachige Zeitungen verboten, sondern auch
eine Reihe (tschechischer) Politiker aufgrund des Vorwurfs von Illoyalität und
Verrat verhaftet.513 Der Krieg beendete letzten Endes in keiner Weise die Grazer
Pressepolemik. Immer ging es um die „richtige“ Haltung gegenüber den einzelnen
Konfessionen und „Nationen“. Die kriegsbedingte Verschärfung des steirischen
Nationalitätenkonflikts verunmöglichte daher eine geschlossene „Einheitsfront“
von Beginn an. Schlussendlich standen nämlich die deutschnationalen Appelle zur
„Einheit aller Nationen“ diametral zu ihren (eigenen) Stellungnahmen in puncto
„Slowenentum“ und „Böhmentum“. Die Leitartikel des Tagblatts, der Tagespost
sowie des (alldeutschen) Grazer Wochenblatts belegen, dass sich (weitgehend un-
erprobte) Kaiserhuldigungen, ein (unerprobter) Schulterschluss mit dem altös-
terreichischen Milieu sowie die Skandalisierung der „Slowenen“ nicht gegenseitig
ausschließen mussten. Trotz alledem erhofften sich die Deutschnationalen vom
Krieg die Realisierung ihres deutschnationalen Lebensentwurfs (weswegen sie auf
die virulenten Nationsfragen meist mit „Deutschtum!“ antworteten). Erinnert sei
noch einmal an Artikel wie „Sturm gegen die slowenischen Hetzer in Pettau“.514
Zeitgleich attackierten die deutschnationalen Zeitungen das katholische Volks-
blatt, da es in ihren Augen zu „sanft“ mit den „Slowenen“ bzw. den „Serbenfreun-
den“ umgehen würde. Auf deutschnationale Attacken gegen das klerikal-konserva-
511 In eigener Sache, in: Grazer Wochenblatt, 23.8.1914, 2: „Durch die Beschlagnahmen der letzten
Zeit hätte der Anschein erweckt werden können, als wenn das ‚Grazer Wochenblatt‘ auch in der
gegenwärtigen Zeit trennende Parteigegensätze aufrecht erhalten [sic] wollte. Selbstverständlich
stehen auch wir auf [...
dem] unbedingten Standpunkt, daß jetzt jeder Parteiunterschied gänzlich
fallen gelassen wurde, und daß auch wir den Ernst der Zeiten nicht verkennend, unseren vater-
ländischen Pflichten voll und ganz nach jeder Richtung hin, so weit es in unseren Kräften steht,
erfüllen werden. Jetzt gibt es keine Parteien, sondern nur österreichische Staatsangehörige, die
alle das einigende Band drohender Gefahren von außen umschlingt.“
512 Darüber berichteten natürlich v. a. die deutschnationalen Zeitungen, vgl. zwei Beispiele: Wieder
ein slowenisches Blatt eingestellt, in: Grazer Tagblatt, 31.7.1914 (Abendausgabe), 4; Ein sloweni-
scher Roman verboten, in: Grazer Tagblatt, 15.9.1914, 4.
513 Leonhard (2014), 209, 225; Beller (1999), 134f.; Nolte (1999), 163.
514 Sturm gegen die slowenischen Hetzer in Pettau, in: Grazer Tagblatt, 4.8.1914, 4. Siehe das Kapitel:
Intensive Julipolemik.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453