Seite - 247 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Grazer Frauenhilfskomitee | 247
Frauenabteilung des Arbeiterhilfskorps.597 Kleinere Frauenhilfsausschüsse bilde-
ten sich mit der Zeit auch in den Grazer „Vororten“ (z. B. in Gösting, Eggenberg
und Wetzelsdorf). Am bereitwillig und zügig geschaffenen Frauenhilfskomitee,
das von der gesellschaftlichen „Elite“ geleitet wurde, erkennt man ferner Ansätze
einer Gruppenbildung aus verschiedenen verschwimmenden Milieus, die mehrere
Alterskohorten umfasste und der Einheitsbildung eine augenfällige, stabilisierende
Basis von „unten“ gab. Ihr kriegsnotwendiger Wirkungsbereich umfasste die Ar-
men-, Mütter-, Kinder- und Soldatenfürsorge. Im ersten Kriegsjahr sammelte das
Frauenhilfskomitee Stoffe, Nähzeug und Geld für die Anfertigung und den Kauf
von militärischen Bedarfsartikeln (Bett- und Leibwäsche, Verbandsmaterial). Fer-
ner stellte es Obstkonserven her. Das karitative Wirken des Frauenhilfskomitees
inszenierte die bürgerliche Presse als eine in die Tat realisierte Form des (ver-
meintlich) „naturgegebenen“ Mutter- und Schwesterseins. Generell kann festge-
halten werden, dass die Militarisierung der von Frauen bewerkstelligten Kriegs-
fürsorge sowie die der Krankenschwestern (an der „Heimatfront“, in der Etappe
oder in den mobilen Feldlazaretten) prinzipiell in Form von „traditionellen“ Auf-
gaben- und Rollenzuweisungen („Aufopfern“, „Dienen“, „Pflegen“) erfolgte. Neu
hingegen war die steigende Präsenzwahrnehmung von Frauen in der Öffentlich-
keit, die bereits sehr früh erste Vorbehalte und Bedenken gegenüber den neuen
Tätigkeitsfeldern der Frauen hervorbrachte.598 Selbstredend war die Vorstellung,
dass die neuen Arbeitsbereiche der Frauen ein „Dienst mit Ablaufdatum“ (nämlich
das Kriegsende) seien, weitverbreitet.599 Seit Anfang September bewerkstelligte das
Frauenhilfskomitee, wie gesagt, den Verpflegungsdienst am Hauptbahnhof. Ob es
sich um die eigenen Soldaten oder um Kriegsgefangene handelte, spielte bei der
Vergabe von Essen keine Rolle. Des Weiteren überbrückten Dolmetscher etwa-
597 Siehe das Kapitel: Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung.
598 Die Mittags-Zeitung kritisierte z.
B. die neuen Schaffnerinnen in Graz. Dabei verwies sie u.
a. auf
Berlin, wo man – der Redaktion zufolge – bis dato „keine guten Erfahrungen“ mit den Schaffne-
rinnen gemacht habe. Die Frauen seien den „Anstrengungen des Dienstes nicht gewachsen“, wes-
wegen auch ihre Arbeitsstunden wieder reduziert werden mussten, vgl. Die Schaffnerinnen bei
der Straßenbahn, in: Grazer Mittags-Zeitung, 28.8.1914, 3. Vgl. auch folgende Stellungnahme der
Mittags-Zeitung: „Die Unfälle auf unserer Stadtbahn mehren sich in geradezu erschreckender
Art. Es vergeht kein Tag, der nicht Meldungen über schwere Verletzungen und Schäden bringt.
Hierbei ist das sonst mustergiltige [sic] Personal, das zur Zeit jedenfalls stark mit Aushilfskräften
ergänzt ist, nicht ganz freizusprechen. Es fehlt die früher übliche Sorgfalt, infolge dessen es zu
Unglücksfällen kommt.“ Aus: Unsere Stadtbahn, in: Grazer Mittags-Zeitung, 18.11.1914, 3. Siehe
dazu: Thonhofer (2013), 27 f.
599 Vgl. z. B. für die weiblichen Hilfskräfte bei der lokalen Eisenbahn: Prettenthaler-Ziegerhofer
(2007).
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453