Seite - 258 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen258
angelegt, noch wurden Lebensmittel in größeren Mengen gespeichert. Zu Kriegs-
beginn kam es zu einer Stagnation, die auch nicht durch improvisierte Ad-hoc-
Anweisungen abgefedert werden konnte. Teilweise verschlechterten diese sogar die
Lage. Ein wirtschaftliches Chaos war die Folge, das sich erst mit der Zeit löste. Das
betonte auch der für die Steiermark zuständige k. k. Gewerbe-Inspektor. Seinem
gedruckten Amtsbericht zufolge bot die steirische Wirtschaft in den ersten Mobili-
sierungswochen „ein geradezu trostloses Bild.“11 Die Grazer Zeitungen kamen be-
greiflicherweise zu dem gleichen Ergebnis. Schließlich konnte niemand die „regel-
rechte Massenarbeitslosigkeit“ übersehen.12 In den ersten Kriegswochen waren in
der Steiermark zwischen 8.000 und 10.000 Industriearbeiterinnen und Industriear-
beiter ohne Arbeit.13 Und Graz war in dieser Zeit von einer „Massenarbeitslosigkeit
von Frauen“ gekennzeichnet.14 Obendrein benutzten einige Betriebsleitungen den
Faktor „Arbeitslosigkeit“ als Druckmittel gegen die (verbliebenen) Arbeiter und
Arbeiterinnen.15 Der sozialdemokratische Arbeiterwille entrüstete sich regelmäßig
über jene (steirischen) Meister, Geschäftsleute, Firmeninhaber und Fabrikbesitzer,
die mit dem „Rausschmiss“ drohten. In der – auch im Krieg fortgesetzten – Ru-
brik „Vom wirtschaftlichen Kampfplatz“ hieß es einmal, dass ein (namentlich ge-
nannter) Besitzer einer Grazer Dampftischlerei „die Kriegslage zur Reduzierung
der Löhne seiner Arbeiter in einer Art, die jeder Beschreibung spottet“, benütze.16
Der Besitzer der Dampftischlerei sagte dem Artikel zufolge auch: „Ja, jetzt ist Krieg!
Im Kriege muß der Arbeiter froh sein, daß er Arbeit hat.“ Kritisiert wurde auch ein
(mit Namen ausgewiesener) Grazer Baumeister, da er „die Notlage der Arbeiter
Österreich-Ungarns in: Schmied-Kowarzik (2016). Einen kompakten Überblick über die wirt-
schaftliche Lähmung zu Kriegsbeginn bietet: Grandner (1992), 59–79. Speziell zur Steiermark:
Moll (2014), 56–61 und (2010).
11 Bericht der k. k. Gewerbe-Inspektoren über ihre Amtstätigkeit im Jahre 1914 (1915), 153: „Der
plötzliche Eintritt ganz neuartiger und in ihren Folgen unübersehbarer Verhältnisse, wie die
Mobilisierung von Unternehmern, Direktoren, Betriebsleitern, Aufsichtsorganen oder beson-
ders qualifizierten Arbeitern, die Stornierung bereits erteilter Aufträge, die Einstellung, bezw.
Einschränkung des gesamten Güter- und Fernsprechverkehres, die Assentierungen von Pferden
und Betriebsfuhrwerken, die Erlassung des Moratoriums, die Sperrung von Bankguthaben und
andere, mit der Mobilisierung zusammenhängende, das wirtschaftliche Alltagsgetriebe beein-
flussende Momente wirkten auf die gesamten hierländischen Gewerbe- und Handelsunterneh-
mungen, sofern diese nicht schon bei Kriegsbeginn der Ausrüstung des Heeres und der Approvi-
sionierung zu dienen hatten, gerade zu lähmend.“
12 Grandner (1992), 62.
13 Bericht der k. k. Gewerbe-Inspektoren über ihre Amtstätigkeit im Jahre 1914 (1915), 154.
14 Augeneder (1987), 12.
15 Ebd., 15.
16 Graz, in: Arbeiterwille, 12.11.1914, 6.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453