Seite - 269 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Andrang auf die Geldinstitute | 269
zen aus kriegstechnischen Gründen suspendiert.81 Folgt man jedoch der seitenrei-
chen Festschrift der Steiermärkische Sparkasse aus dem Jahr 1925, so wurden im
Juli und im August 1914 1.2 Millionen Kronen mehr abgehoben als eingelegt.82 In
den darauffolgenden zwei Monaten wurden wieder 0.9 Millionen Kronen mehr
eingelegt als abgehoben. Anders verhielt es sich mit dem genossenschaftlich or-
ganisierten Allgemeinen Spar- und Konsumverein (in Graz), dem zweitgrößten
Konsumverein in Österreich. Dort fielen die Einlagen allem Anschein nach höher
aus als die Behebungen. Das entnimmt man jedenfalls seinen Presseaussendungen,
die regelmäßig im Arbeiterwillen abgedruckt wurden. In einer dieser Mitteilungen
hieß es zum Beispiel, dass zwischen 27. Juli und 12. August 24.325 Kronen einge-
legt, aber nur 22.099 Kronen abgehoben wurden: „Der Spareinlagenverkehr hat
sich während der letzten vierzehn Tage niemals abnormal gestaltet.“83 Ich weiß
nicht, ob diese (veröffentlichten) Zahlen stimmen oder ob sie zur Beruhigung der
Anlegerschaft fingiert wurden.84 Es steht jedoch fest, dass der Spar- und Konsum-
verein unter der Geschäftsführung von Anton Pohl bereits unmittelbar nach der
Teilmobilmachung (27.
Juli) beschloss, dass Einlagen bis zu 50 Kronen „ohne wei-
teres“ ausbezahlt werden.85 Bei höher liegenden Beträgen ließ man hingegen „die
Kündigungsfrist der Sparordnung eintreten.“86 Anscheinend haben sich diese dras-
tischen „Vorsichtmaßregeln“87 bewährt. Das Geld wurde in erster Linie von Frauen
des kleinsparenden Milieus abgehoben. Nur fallweise hoben die Zeitungen hervor,
dass auch „wohlhabende und gebildete Leute“ das Ersparte abhoben.88 Graz unter-
schied sich diesbezüglich nicht von anderen Städten, zumal die neuen Auguststu-
dien den Schluss zulassen, dass vielerorts die Abhebungen primär von Frauen aus
den einkommensschwächeren Schichten vorgenommen wurden.89 Hierbei muss
aber hinzugefügt werden, dass (gemessen an der Gesamtbevölkerung) nur ein klei-
81 Einige Jahresbilanzen finden sich meinem Ermessen nach in der von der k. k. Statistischen Zen-
tralkommission erstellten Auflistung aus dem Jahr 1918, vgl. Statistik der Banken in Österreich
für die Jahre 1914 und 1915 (1918), in: Österreichische Statistik, N. F. 18., Nr. 2.
82 Poschacher/Kaiserfeld (1925), 369.
83 Der Grazer Konsumverein an seine Mitglieder, in: Arbeiterwille, 15.8.1914, 8.
84 In Wien war es nämlich umgekehrt, vgl. Die Spareinlagen bei den Konsumvereinen, in: Arbeiter-
Zeitung, 1.8.1914, 6; Die Spareinlagen bei den Konsumvereinen, in: Arbeiter-Zeitung, 2.8.1914,
7. Zum Wiener Konsumverein „Vorwärts“ zu Kriegsbeginn siehe auch: Ardelt (1994), 106 f.
85 Der Grazer Konsumverein und die Kriegsvorbereitungen, in: Arbeiterwille, 27.7.1914 (Abend-
ausgabe), 3.
86 Ebd.
87 Der Grazer Konsumverein an seine Mitglieder, in: Arbeiterwille, 15.8.1914, 8.
88 Strumpf oder Sparkasse?, in: Grazer Volksblatt, 26.7.1914, 5.
89 Für Deutschland: Verhey (2000), 88, 90. Speziell zu Münster: Nübel (2008), 91.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453