Seite - 272 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen272
Andrang zu einer Darlehnskündigung führen könnte.104 Nur sporadisch verwie-
sen sie auf die Deckung der Einlagen durch Hypotheken (Grund und Boden). So
sei es sinnlos, das Geld unverzinst „zu Hause in der Kommode oder im Strumpf
einzuschließen.“105 Wenig hilfreich war diesbezüglich die Tatsache, dass Anfang
August ein Wirtschaftsgebäude der Steiermärkischen Sparkasse in Brand geriet.106
Manchmal griffen die Zeitungen auch zu dem Argument, dass das zu Hause ver-
wahrte Geld leicht gestohlen werden könne. Das Diebstahlargument beinhaltete
in der Regel eine reale (oder fingierte) Geschichte, in der (stets) einer Frau das
abgehobene Geld auf dem Heimweg oder zu Hause gestohlen wurde. In einer die-
ser Geschichten vergaß eine „Gendarmeriewachtmeistergattin“ ihre Handtasche
in der Straßenbahn.107 Diese „Geldstrumpfschwärmer[in]“ hatte aber noch Glück,
zumal die Handtasche mit den in Zeitungspapier eingewickelten 1.400 Kronen
wieder gefunden wurde.
Zeitgleich mit dem Abschwellen des Andrangs auf die Geldinstitute begann der
sogenannte Kleingeldrummel. Dieser wurde von Frauen und Männern aus allen
Milieus praktiziert. Ausschlaggebend für die Anhäufung von Münzen und das
Bestreben, Papiergeld in Münzgeld umzutauschen, waren die Umsicht oder die
Angst bezüglich einer etwaigen Knappheit des Münzgeldes und/oder des Wertver-
lusts „des“ Papiergeldes. Die Zeitungen108 und die Statthalterei109 versuchten nach-
vollziehbarerweise den Kleingeldrummel zu stoppen. Wenngleich der drastische
Kleingeldrummel weitgehend auf den August beschränkt blieb, so wurden im wei-
teren Kriegsverlauf die akkurate Anhäufung der „krisensicheren“ Münzen und das
Loswerden der Banknoten dennoch zum finanzpolitischen Credo weiter Bevöl-
kerungsteile. Immer wieder forderten die Redaktionen die Bevölkerung dazu auf,
104 Einer der wenigen Artikel hierzu: Sind die Raiffeisenkassen sicher?, in: Grazer Volksblatt,
26.7.1914, 5. Vgl. parallel: Sind die Raiffeisenkassen sicher?, in: Kleine Zeitung, 27.7.1914, 6.
105 Keine Angst!, in: Grazer Tagblatt, 28.7.1914, 4.
106 Brand, in: Grazer Volksblatt, 3.8.1914 (Abendausgabe), 3; Großfeuer, in: Arbeiterwille, 3.8.1914
(Abendausgabe), 4.
107 Ein warnendes Beispiel für die Geldstrumpfschwärmer, in: Grazer Tagblatt, 8.10.1914 (2. Mor-
genausgabe), 3.
108 Papiergeld ist gleich Nickel oder Silbergeld, in: Arbeiterwille, 5.8.1914 (Abendausgabe), 3; Ge-
wissenlose Leute, in: Grazer Montags-Zeitung, 17.8.1914, [ohne Seitenangabe]; Warnung für die
Zurückhaltung des Metallgeldes, in: Steiermärkisches Gewerbeblatt, 1.9.1914, 2.
109 Vgl. folgende zwei Erlässe: Banknoten, betrügerische Manipulationen wegen deren Abnahme
unter dem Nennwerte, Erlass der Statthalterei vom 10.8.1914, in: Verordnungsblatt der k. k. stei-
ermärkischen Statthalterei (19.8.1914), 291; Banknoten, Verpflichtung zur Annahme, Erlass
der Statthalterei vom 10.8.1914, in: Verordnungsblatt der k. k. steiermärkischen Statthalterei
(19.8.1914), 291. Siehe außerdem: Kundmachung, in: Amtsblatt der landesfürstlichen Hauptstadt
Graz (20.8.1914), 393.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453