Seite - 273 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Andrang auf die Geldinstitute | 273
die Münzen in Umlauf zu bringen: „Wer Silber- oder Nickelmünzen gesammelt
und verwahrt hat, der führe sie wieder dem Verkehre zu, bringe sie zum nächs-
ten Postamt oder gebe sie in Zahlung, wenn er Zahlungen leistet.“110 Waren die
Appelle am Anfang noch auf das Münzgeld beschränkt, forderte man im weiteren
Kriegsverlauf die Menschen dazu auf, ihr Papiergeld auf die Banken und Sparkas-
sen zu bringen sowie die einzelnen Kriegsanleihen zu zeichnen: „Wer über größere
Beträge in Papiergeld verfügt, für die er keine augenblickliche Verwendung hat,
der kaufe Kriegsanleihe oder zahle Schulden zurück oder gebe sein Geld in die
Postsparkasse, in Raiffeisenkassen, Sparkassen, Banken!“111 Dem Volksblatt zu-
folge zeigte der Kleingeldrummel bereits am 9. August 1914 „fast wahnsinnartige
Auswüchse“.112 Selbst der Straßenbahnfahrschein wurde von einigen Grazern und
Grazerinnen mit einer großen Banknote gekauft, um so an mehr Münzen heran-
zukommen.113 Ferner nahmen in Graz – ähnlich wie in Freiburg im Breisgau – ei-
nige Gasthäuser und andere Gewerbesparten keine Banknoten mehr an.114 Einige
Menschen wechselten auch auf der Straße unter dem Nennwert ihre Geldscheine
in Münzen um.115 Zudem verlautbarten mehrere Gewerbebetriebe und Genossen-
schaften, dass sie nur mehr gegen Barzahlung arbeiten werden. Im August ver-
kündete beispielsweise die steirische Landesgenossenschaft der Destillateure und
Gärungsessigerzeuger, dass ihre Mitglieder nur mehr gegen Barzahlung die Waren
hergeben würden.116 Ebenso wurde das Ausstellen von Schuldscheinen sowie das
Aufschreiben (im Gasthaus oder sonst wo) vielerorts untersagt.117 Und in einer
Annonce von Ende November 1914 teilte die steirische Landesgenossenschaft der
110 In den Verkehr mit dem Silber- und Nickelgeld!, in: Grazer Mittags-Zeitung, 9.10.1915, 2.
111 Versteckt keine Banknoten!, in: Grazer Mittags-Zeitung, 9.10.1915, 2.
112 Der Kleingeldrummel, in: Grazer Volksblatt, 8.8.1914, 4. Vgl. parallel: Der Kleingeldrummel, in:
Kleine Zeitung, 9.8.1914, 4.
113 Der Kleingeldrummel, in: Grazer Volksblatt, 8.8.1914, 4.
114 Banknoten müssen als Zahlung angenommen werden, in: Kleine Zeitung, 13.8.1914, 3; Wichtig
für das kaufende Publikum!, in: Grazer Volksblatt, 15.8.1914, 6. Vgl. für Freiburg im Breisgau:
Chickering (2009), 66. Zum Kleingeldrummel in Deutschland zu Kriegsbeginn: Schröder (2007),
212; Link (2004), 313 f.; Verhey (2000), 90 f.; Raithel (1996), 225 f. Für Österreich-Ungarn (Vor-
arlberg, Kärnten) nuanciert: Binder (1959), 123
f.; Doliner (1951), 99. Für Zürich: Herber (2014),
71 f.
115 Annahmezwang von Banknoten, in: Grazer Volksblatt, 16.8.1914, 4. Vgl. auch: Gegen die be-
trügerische Entlockung österreichisch-ungarischer Banknoten unter dem Nennwerte, in: Grazer
Tagblatt, 16.8.1914, 3.
116 Zur Richtschnur! [Annonce], in: Grazer Volksblatt, 12.8.1914, 5.
117 Vgl. für die Handels- und Gewerbekammer Graz: Aufruf zur Barzahlung, in: Grazer Tagblatt,
15.8.1914, 3; Aufruf zur Barzahlung, in: Grazer Volksblatt, 15.8.1914, 6. Vgl. einen weiteren Ap-
pell: Gegen die Zurückhaltung von Hartgeld, in: Grazer Tagblatt, 18.8.1914 (Abendausgabe), 2.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453