Seite - 274 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen274
Schuhmacher mit, „daß die gefertigten Schuhe nur [mehr] gegen Barzahlung an
die Kunden verabfolgt werden.“118 Ab 1917 kam es dann auch vor, dass Bauern
kein Geld mehr für ihre (illegal) verkauften Nahrungsmittel annahmen.119
Des Weiteren können die Vorgänge am Grazer Versatzamt (in der Bürgergasse)
als Seismograf für finanzielle Alltagssorgen herangezogen werden. Das Versatz-
amt sah sich in diesen Tagen mit geringen Verpfändungen, sehr vielen Umschrei-
bungen und steigenden Auslösungen konfrontiert.120 Das „Anschwellen der
Auslösungen“121 und die geringen Verpfändungen deuten auf eine Umsicht oder
Angst bezüglich einer etwaigen bevorstehenden Geldentwertung sowie auf ein
Misstrauen gegenüber der Sicherheit des Versatzamts. Die Leitung des Versatz-
amts versuchte daher mittels Presseaussendungen die „vollständig überflüssige[n]
Sorgen“ der Pfänderschaft zu zerstreuen.122 Es bestehe keine „Gefahr“ für das „Pu-
blikum“ des Versatzamts, sodass auch jene beruhigt sein können, die nicht dazu
in der Lage sind, ihre versetzten Sachen und Artikel auszulösen.123 Als Folge des
„geringeren Umsatz[es] beim Feilbietungsgeschäfte“ wurden zu Kriegsbeginn die
sogenannten Darlehen auf Effekten und Pretiosen lediglich mit 50 Prozent des an-
beraumten Schätzungswerts bemessen.124 Zudem wurde die Belehnung von Wert-
papieren zur Gänze untersagt. Maßnahmen wie diese konnten den steigenden
Umsatzverlust des Versatzamts nicht verhindern. Das zeigt sich an den Pfänder-
stückzahlen: 1913 verzeichnete das Versatzamt 219.244 Pfänderstückzahlen. 1914
ging dieser Wert auf 181.887 zurück. 1915 belief sich die Stückzahl auf 138.237. Im
Jahr 1918 verzeichnete das Versatzamt nur mehr 79.858 Stück.125
Eine breit angelegte Thematisierung der Steuer- und Gebührenfrage erfolgte im
ersten Kriegsjahr nicht. Dennoch instrumentalisierten die zahllosen Aufforderun-
gen zur Steuerabgabe (dem Gebot der Stunde folgend) die Steuerleistung als eine
118 Landesverband der Schuhmacher-Fachgenossenschaften in Steiermark [Annonce], in: Grazer
Tagblatt, 29.11.1914 (2. Morgenausgabe), 23.
119 Schmied-Kowarzik (2016), 540.
120 Das Grazer Versatzamt und der Krieg, in: Grazer Volksblatt, 12.8.1914 (18-Uhr-Ausgabe), 2. Vgl.
parallel: Das Grazer Versatzamt und der Krieg, in: Kleine Zeitung, 13.8.1914, 3.
121 Das Grazer Versatzamt und der Krieg, in: Grazer Volksblatt, 12.8.1914 (18-Uhr-Ausgabe), 2.
122 Ebd.
123 Ebd.
124 Belehnung der Pfänder während des Kriegszustandes, in: Arbeiterwille, 9.8.1914, 6. Vgl. auch:
Maßnahmen im Städtischen Versatzamt infolge des Moratoriums, in: Arbeiterwille, 31.8.1914
(Abendausgabe), 3.
125 Zahlen nach: Die Stadt Graz – ihre kulturelle, bauliche, soziale und wirtschaftliche Entwicklung
in den letzten sechzig Jahren nebst kurzen geschichtlichen Rückblicken. Herausgegeben aus An-
laß der Achthundertjahrfeier 1128–1928 (1928), 236.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453