Seite - 278 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen278
rechterhaltung von „Ruhe und Ordnung“ stark beeinträchtigten. Zusätzlich dazu
kritisierten viele (aber nicht alle) Zeitungsartikel den Umstand, dass einige Grazer
und Grazerinnen den Soldaten alkoholische Getränke spendierten.150 Zum einen
deutete die Presse den massiven Alkoholkonsum als Ursprung vieler Schlägereien
und Unfälle innerhalb sowie außerhalb der Soldatenreihen. Zum anderen passte
der alkoholisierte Soldat nicht in das Bild des nüchternen Soldaten. Daneben kam
es vor, dass Privatleute den abfahrenden Soldaten einen Flachmann bzw. eine Ta-
schenflasche mitgaben. Selbstredend entrüsteten sich die Zeitungen über diese
Form der „Liebesgabe“. Sie empfahlen dagegen die Vergabe von Zigaretten151,
Schreibmaterial, Kleidung, Lebensmittel und Arzneien. Diese Produkte konnte
man den Soldaten entweder direkt (am Bahnhof) oder indirekt über einen Sam-
melkasten oder eine Sammelstation (z. B. die Grazer Burg) zukommen lassen.152
Dem Tagblatt, das wie alle Zeitungen den Alkohol als „Liebesgabe“ scharf ver-
urteilte, passierte Ende Oktober ein Missgeschick bezüglich der Alkoholfrage.
Prinzipiell war das Verschicken von Alkohol mittels Feldpostpakete verboten
(siehe unten). Der Tagblatt-Artikel „Alkohol im Felde“ setzte sich aber für eine
Aufhebung dieses Verbots ein (Immerhin habe sogar der deutsche Kronprinz Wil-
helm von Preußen den Soldaten erlaubt, dass sie in den Wintertagen Alkohol trin-
ken dürfen).153 Die Redaktion des Tagblatts verschwieg jedoch, dass der besagte
Artikel eine Zuschrift der steirischen Landesgenossenschaft der Destillateure und
Gärungsessigerzeuger darstellte. Dass dem so war, erfuhren die Grazerinnen und
Grazer erst einige Tage später. Das Tagblatt erhielt nämlich nach eigenen Angaben
„mehrere Erwiderungen“ auf den Artikel „Alkohol im Felde“.154 Aus diesem Grund
sah sich die Redaktion zu einer öffentlichen Stellungnahme gezwungen. In dieser
Verlautbarung wies das Tagblatt zunächst einmal darauf hin, dass es sich bei dem
Jahr 1918: Was eine betrunkene Militärpatrouille anrichten kann, in: Arbeiterwille, 1.6.1918 [der
Artikel befindet sich in der vierblättrigen Beilage, 4].
150 Zwei Artikel hierzu: Der Alkohol und die Soldaten, in: Arbeiterwille, 11.8.1914, 3; Alkohol als
Spende für die verwundeten Soldaten, in: Arbeiterwille, 6.11.1914, 4.
151 Das Tagblatt riet, dass man keine selbstgestopften Zigaretten spenden solle, da die Soldaten sie nur
schwer bzw. umständlich transportieren können. Aus diesem Grund empfahl die Zeitung, man
möge den Soldaten Zigarettenpapier und Tabakpäckchen schenken, die sich leichter verstauen
ließen. Zwei Artikel hierzu: Für Zigarettenstopferinnen, in: Grazer Tagblatt, 20.10.1914 (2. Mor-
genausgabe), 3; Liebesgaben für unsere Braven im Felde, in: Grazer Tagblatt, 21.10.1914, 2.
152 Vgl. z.
B. Kriegshygiene, in: Tagespost, 6.8.1914 (18-Uhr-Ausgabe), 1; Arzneipäckchen für unsere
Truppen, in: Grazer Tagblatt, 4.10.1914 (2.
Morgenausgabe), 3. Zu den aufgebrochenen Sammel-
kästen siehe das Kapitel: Diebstahl und Betrug.
153 Alkohol im Felde, in: Grazer Tagblatt, 30.10.1914 (2. Morgenausgabe), 2.
154 Alkohol im Felde, in: Grazer Tagblatt, 4.11.1914 (2. Morgenausgabe), 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453