Seite - 295 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Hamsterkäufe | 295
sogar für längere Zeit, ja auch Monate hinaus decken wollten! Dabei fehlte es leider auch
nicht an Rücksichtslosigkeiten.“259
Zuweilen schürten einige Gewerbetreibende demonstrativ den sogenannten
Arm-Reich-Konflikt. Ein Beispiel hierfür ist eine als konventioneller Artikel ge-
staltete Annonce des (großbürgerlichen) Kaffee-Unternehmens Julius Meinl, des-
sen Grazer Filiale sich am Hauptplatz befand. In dieser Annonce stand zu lesen:
„Damit nicht von den wohlhabenden Leuten alle Vorräte jetzt für Wochen hin-
aus aufgekauft werden und die Minderbemittelten, welche nicht in der Lage sind,
größere Mengen auf einmal zu kaufen, später an den wichtigsten Lebensmitteln
Mangel leiden, hat die Firma Julius Meinl, Kaffee-Import, angeordnet, daß zu Zei-
ten größeren Geschäftsandranges nur Detailmengen abgegeben werden.“260 Die
hier voraussichtlich in der Hoffnung auf eine Umsatzsteigerung geäußerte Kritik
an „den wohlhabenden Leuten“ zeigt, dass es ein allgemeines Zusammenrücken
innerhalb der Stadtbevölkerung nicht gab. Denn es sind Attacken wie diese, die
belegen, dass die soziale Kohäsion der Grazer Bevölkerung stark auf die Probe
gestellt wurde.
Ebenso gravierend gestaltete sich die Tatsache, dass viele Uniformierungsanstal-
ten261 erhöhte Preise für ihre Produkte verlangten. Die Grazer Presse echauffierte
sich über diesen Umstand mehrmals, weswegen sie bereitwillig die entsprechen-
den Presseaussendungen des Kriegsministeriums druckte:
„Unerhörte unpatriotische Haltung von bekannten Uniformierungsanstalten. Es laufen
unaufhörlich Klagen ein, aus welchen hervorgeht, daß Uniformierungsanstalten von
sehr bekannten Namen die momentane Zwangslage der Einrückenden zu ganz enor-
men, durch nichts begründeten Preissteigerungen ausnützen. Dieses unpatriotische Be-
nehmen kann nicht genug gebrandmarkt werden. Gerade im gegenwärtigen Zeitpunkte,
wo jeder sein Bestes für die Gesamtheit einsetzt und kein Opfer scheut, gleichen der-
artige Preissteigerungen direkten Erpressungen. Es wird im Interesse aller sein, wenn
sich die von diesen Firmen Übervorteilten an die Zeitungsredaktionen wenden, welche
durch Publikation der Namen und der näheren Begleitumstände dazu beitragen kön-
nen, die Einrückenden vor Schaden zu bewahren und diese unpatriotischen Firmen an
259 Kriegszeit, in: Grazer Beamten-Zeitung, 25.8.1914, 1.
260 Die Lebensmittelversorgung [Annonce], in: Arbeiterwille, 9.8.1914, 9.
261 Ein Abriss über das Monturwesen (Heeresausrüstungsanstalten etc.) vor 1914 in: Wagner (1987),
568–571.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453