Seite - 296 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen296
den Pranger zu stellen. Nach der Rückkehr normaler Verhältnisse werden sich für diese
Firmen die Konsequenzen ihrer jetzigen Haltung sehr fühlbar machen.“262
Der vom Kriegsministerium eingeforderten „Publikation der Namen“ kamen die
Grazer Redaktionen prompt nach. Vermutlich ließe sich sogar sagen, dass sich
die Zeitungen dieser Methode des „Brandmarkens“ seit jeher bedienten. Gelöst
wurde das mehrfach geäußerte Problem mit den „gewissenlosen Armeelieferanten
[... und] Beutemachern“263 jedoch nicht und es verwundert wenig, dass seit dem
zweiten Kriegsjahr in erster Linie die Sozialdemokratie mehr und mehr die voll-
ständige Verstaatlichung der Heeresausrüstung forderte.264 Ferner verweise ich auf
einen Vorfall rund um die Grazer Schuh- und Lederfabrik Franz Rieckh’s Söhne,
die Mitglied des Heereslieferverbandes war.265 Die Fabrikleitung stritt sich in der
Vorkriegszeit mehrmals mit der sozialdemokratisch organisierten Fabrikarbeiter-
schaft. Die sozialdemokratischen Attacken richteten sich im letzten Friedensjahr
nicht nur gegen die Anstaltsleitung, diese – so schrieb der Arbeiterwille im Fe-
bruar 1914 – „‚Wohltätigkeitsfirma‘ [...], die auf Staatskosten für sich Wohltaten
übt“266, sondern auch gegen drei ehemalige sozialdemokratische Vertrauensmän-
ner. Genauer gesagt sprach der Arbeiterwille von den drei „Arbeiterverräter[n]
gemeinster Sorte“, die im Februar 1914 als Zeugen vor das Grazer Bezirksgericht
geladen wurden. Diese drei Männer hätten nach Ansicht des Arbeiterwillens seit
geraumer Zeit zusammen mit der Fabrikleitung gegen die Interessen der Arbeiter-
schaft agiert. Das Ganze mündete (bereits) 1913 in einer Demonstration vor einer
Werkstätte der besagten Heeresrüstungsanstalt in der Josefigasse, bei der Ofen-
rohre durch die Fenster ein- und ausflogen. Daraufhin wurden acht Arbeiter einer
gerichtlichen Untersuchung unterzogen. Die Verfahren wurden in sieben Fällen
eingestellt. Der achte Mann wurde erst später freigesprochen. Im ersten Kriegsjahr
kam es erneut zu Spannungen zwischen der Heeresanstaltsleitung und Teilen der
Fabrikarbeiterschaft. Im Strudel der regelmäßigen Kritik gegen die als überteuert
wahrgenommenen Uniformierungsanstalten erstattete Karl Rieckh, der Inhaber
262 Unpatriotisches Benehmen der Uniformierungsanstalten, in: Grazer Volksblatt, 7.8.1914, 2. Vgl.
ein wenig abweichend: Unerhörtes Vorgehen zahlreicher Uniformierungsanstalten, in: Grazer
Tagblatt, 7.8.1914, 9.
263 Abgeordneter Neunteufel, in: Grazer Vorortezeitung, 13.12.1914, 3. Vgl. auch: Vorsicht beim
Einkauf von Militärausrüstungsgegenständen, in: Grazer Tagblatt, 18.8.1914 (Abendausgabe), 2.
264 Eigenregie für den Heeresbedarf, in: Arbeiterwille, 13.7.1915, 1.
265 Zur Geschichte dieser Schuh- und Lederfabrik vgl. Sinabell (1988).
266 Das Zitat und die folgenden Sätze stützen sich auf: Drei „Ehrenmänner“!, in: Arbeiterwille,
21.2.1914, 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453