Seite - 301 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Mietzins | 301
Verwiesen sei auch auf einen Hausbesitzer, der anscheinend die Schlüsselkaution
unrechtmäßig einzog.283 Auch er wurde wie andere Vermieter innerhalb und au-
ßerhalb von Graz durch Anführung seiner persönlichen Angaben öffentlich stig-
matisiert und kriminalisiert. Demgegenüber lobte der Arbeiterwille nur sehr we-
nige Vermieter explizit.284 Auf das Lob folgte aber wieder Tadel. Mit Bezug auf eine
Meldung in der amtlichen Wiener Zeitung (Wien), der zufolge der Wiener Reali-
tätenbesitzer Ernst Szilanyi „allen Mietparteien, deren Erhalter jetzt zum Heere
eingerückt sind, die Bezahlung des Wohnzinses zum August-Termin erlassen“285
habe, schrieb der Arbeiterwille beispielsweise:
„Ein wenig anmutiges Gegenstück bilden einzelne Grazer Hausbesitzer, die, unbeküm-
mert um die schrecklichen Folgen der Mobilisierung, auf ihrem Schein beharren. Von
einem dieser edlen Menschenfreunde wird uns sogar berichtet, daß er der Frau eines
eingerückten Reservisten mit der Delogierung drohte, falls sie nicht sofort den August-
zins erlegt. Wir unterlassen die Nennung seines Namens bloß deshalb, weil wir hoffen,
daß sich der Mann doch noch eines Besseren besinnen wird.“286
Dieses Anprangern hatte nichts mit dem „Russen“ oder dem „Franzosen“ zu tun.
Hier empörte man sich über die „eigenen“ Leute. Prozeduren wie diese beschränk-
ten sich nicht auf die ersten Kriegswochen. Eher das Gegenteil war der Fall, wenn-
gleich einige Haus- und Realitätenbesitzer gelobt wurden. Am 6. Dezember 1914
erntete zum Beispiel die Baronin Mayer-Melnhof vom Arbeiterwillen Lob, da sie
„für die Wohnungen der Familien der Eingerückten keinen Zins“ einhebe und zu-
weilen Verwundete in ihrem Schloss unterbringe, „die sehr gut verpflegt werden.“287
Der besagte Artikel endete wieder mit einer Kritik, die sich gegen andere Realitä-
tenbesitzer richtete: „Es sind auch andere Herrschaften, wie Herr Thunhard von
Heldenhof, Herr [Konrad] Föllegger in Donauwitz u. s. w., die könnten sich die
Baronin schon zum Vorbilde nehmen.“ Wenige Tage später hieß es dann im Arbei-
terwillen, dass die Meldung vom 6.
Dezember einem Irrtum unterlag, zumal „auch
Herr Föllegger, ähnlich der Baronin Mayr-Melnhof, seinen Mietern im weitgehen-
283 Neue Einnahm[ens]squelle eines Hausherrn, in: Arbeiterwille, 17.9.1914, 3.
284 Nachahmenswert, in: Arbeiterwille, 31.10.1914 (Abendausgabe), 4: „Der Hausbesitzer Pupacher
in Zeltweg hat seinen Mietparteien, deren Männer einberufen sind, den Mietzins um zwei Drittel
herabgesetzt. Mögen sich andere Hausbesitzer dies als Muster nehmen, insbesondere die Alpine
Montangesellschaft und die ‚Austria‘ in Knittelfeld.“
285 Patriotische Spenden und Widmungen, in: Wiener Zeitung, 3.8.1914, 5.
286 Hausherren, wie sie sein und wie sie nicht sein sollen, in: Arbeiterwille, 5.8.1914, 4.
287 St. Peter-Freienstein. (Zur Nachahmung.), in: Arbeiterwille, 6.12.1914 (2. Ausgabe), 11.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453