Seite - 311 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Kirchen und Friedhöfe | 311
mik infolge des (kurzen) Wahlkampfs zum Grazer Gemeinderat und wegen „Sa-
rajevo“ kaum zu übersehen. Im September 1914 trat der Antisemitismus aufgrund
der nach Graz kommenden Flüchtlinge sowie in den „Soldatenerzählungen“ der
Presse klar zu Tage. In der Zeit dazwischen, dem August 1914, kam es ebenso
zu judenfeindlichen Aussagen, sodass die Wochen rund um den Kriegsbeginn in
keiner Weise frei von Antisemitismus waren. Ein typisches Beispiel hierfür ist der
Artikel „Zur Warnung“ von Mitte August. In diesem Artikel appellierte das radikal
deutschnationale Tagblatt, dass man bei den kommenden Kaiserfeiern keine von
Juden angefertigten Kaiserbilder kaufen solle. Anlass hierfür bot eine Annonce
des polnischen Volksschulvereins, in der der Verein für seine Kaiserbilder warb.
Das Tagblatt äußerte sich dazu folgenderweise: „Da diese Ankündigung [des pol-
nischen Volksschulvereins] sehr geeignet ist, zur Abnahme dieses jüdischen Er-
zeugnisses zu veranlassen, dessen Ertrag gewiss nicht vaterländischen Zwecken
zugeführt werden wird, sei [vom Tagblatt] darauf verwiesen, daß es eine Menge
gut deutscher Firmen gibt, bei denen solche Bilder zum gleichen Preise erhältlich
sind und deren Inhaber auf Ersuchen gewiß gern bereit sein werden, einen Teil
des Erlöses dem Roten Kreuze oder einem anderen vaterländischen Zwecke zu
widmen.“329 Das katholische Volksblatt äußerte daher nicht ganz zu Unrecht ihre
Bedenken darüber, ob die Deutschnationalen bzw. die „Schönererpartei“330 nun
tatsächlich ihren Antisemitismus ablegen würde(n). Derartige Vorbehalte blieben
freilich nicht unwidersprochen. Noch im November sah sich zum Beispiel die all-
deutsche Zeitung „Deutsche Presse“ (Wien) dazu veranlasst, auf den oben zitierten
Artikel „Die Alldeutschen und der Krieg“ des Volksblatts zu antworten. In dem
langen Artikel „Ein Wort zum Burgfrieden“ kritisierte man nicht nur das Grazer
Volksblatt und die neuen Forderungen der „Slawenstämme Oesterreichs“, sondern
verteidigte auch den Antisemitismus.331 Ein gelebter Antisemitismus gehöre nun
einmal zum deutschnationalen Programm und könne somit nicht aufgrund des
„Burgfriedens“ ausgeschaltet werden: „Wir [die Redaktion der ‚Deutschen Presse‘]
verstehen unter Burgfrieden lediglich die Einstellung unfruchtbarer politischer
Parteistreitigkeiten, niemals aber das Aufgeben oder Fallenlassen unserer Ideale.“
Und zu diesen „völkischen Idealen“ zähle nun einmal auch der Antisemitismus:
„Die Anhänger dieser Lebensanschauung erkennen – auf geschichtliche Tatsachen
gestützt – im Semitismus eine Verfallserscheinung, die sich vor allem in gewissen-
loser Geldgier und wüster Genußsucht äußert und deren hauptsächliche Träger
329 Zur Warnung, in: Grazer Tagblatt, 15.8.1914, 3.
330 Die Alldeutschen und der Krieg, in: Grazer Volksblatt, 9.8.1914, 5.
331 Ein Wort zum Burgfrieden, in: Deutsche Presse, 17.11.1914, 2.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453