Seite - 314 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen314
halten und in Anbetracht der Zeit zügig durchgeführt. In den Zeitungen las man
fortwährend, dass sie trotz ihres Eilverfahrens würdevoll vonstattengingen. Diese
Beschreibung ist durchaus zutreffend und es verwundert nicht, dass die vielen
Kriegstrauungen als „Garant“ für die österreichisch-ungarische „Verteidigungspo-
sition“ betrachtet wurden. Abseits dieser politischen Vereinnahmung, die sich in
allen Tageszeitungen wiederfand, versuchte die Presse auf diesem Wege Frauen für
die Kriegsfürsorge zu animieren. Die Aufforderung, dass sich Frauen für die Wohl-
fahrt oder in anderen Kriegsfürsorgestellen engagieren sollten, schlug sich nicht
nur in dezidierten Aufrufen der Presse oder in jenen diverser Organisationen nie-
der, sondern sie schien auch verklauselt in der Berichterstattung hinsichtlich der
Kriegstrauungen durch. In einem Artikel des Volksblatts hieß es beispielsweise:
„So einfach diese [... Kriegstrauungen] waren, so erhebend und rührend waren
sie. Viele Bräute bekannten mutig, daß sie, wenn es die Pflicht erfordert, auch im
Kriege ihren vor dem Abschied angetrauten Männern folgen und als Pflegerinnen
Hilfsdienste leisten werden.“341
In diesen Tagen suchte man vielfach auch die Friedhöfe („Gottesäcker“342) auf.
Den alljährlichen Höhepunkt stellte diesbezüglich das römisch-katholische Hoch-
fest Allerheiligen (1. November) dar. Dieser Umstand konnte wie schon die Jahre
zuvor nicht durch das „trübe, naßkalte Wetter“343 beeinträchtigt werden. Vielfach
stieß man vor den extra mit schwarz-gelben Fahnen geschmückten Soldatengrä-
bern auf weinende Frauen und Kinder.344 Die Wochen vor Allerheiligen wurden
von einer kleinen, aber nennenswerten Diskussion bezüglich des „richtigen“ Be-
streitens dieses Hochfestes begleitet. Diese Kontroverse verdeutlicht exemplarisch,
dass gut gemeinte Ratschläge in puncto ziviler Kriegsanstrengung auch kontrapro-
duktiv wirken konnten. Ausgelöst wurde die Diskussion durch einen Vorschlag
der Gräfin (Rosa) Mels-Colloredo. In ihrem offenen Brief, der in vielen Zeitungen
der cisleithanischen Reichshälfte abgedruckt wurde345, appellierte die Gräfin, dass
man während der Kriegszeit kein Geld für Grabschmuck ausgeben, sondern das
gesparte Geld besser dem Roten Kreuz spenden sollte. Dem Appell standen viele
Zeitungen346 ablehnend gegenüber und auch die Bundesleitung des Roten Kreu-
341 Reservistentrauungen, in: Grazer Volksblatt, 27.7.1914 (Abendausgabe), 3.
342 Das Fest der Toten, in: Grazer Tagblatt, 2.11.1914 (Abendausgabe), 4.
343 Ebd.
344 Die Gräber der Gefallenen, in: Grazer Mittags-Zeitung, 2.11.1914, 2.
345 Vgl. den Appell z. B. im deutschnationalen Bregenzer Tagblatt (Bregenz): Sehr verehrte Redak-
tion!, in: Bregenzer Tagblatt, 4.10.1914, 3.
346 Die Grazer Tageszeitungen lehnten den Vorschlag ab, wenngleich sie im selben Atemzug den
ursprünglichen Wohlgedanken der Gräfin lobend hervorstrichen, vgl. nur: Die Arbeitslosigkeit,
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453