Seite - 315 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Kirchen und Friedhöfe | 315
zes sah von diesem Vorschlag ab.347 Ebenso erteilte die Grazer Genossenschaft der
Handelsgärtner und Blumenhändler dem Appell eine Absage. Würden die Men-
schen dem Vorschlag der Gräfin Mels-Colloredo folgen und tatsächlich keine Blu-
men mehr kaufen, wäre ein ganzes Gewerbe „in seiner Existenz bedroht“, hieß
es diesbezüglich in der langen Presseaussendung der Genossenschaft.348 Wie die
Jahre zuvor kam es auch zu Allerheiligen 1914 zu einer kurzfristigen Abänderung
der Straßenbahnfahrpläne.349 Ferner wurde der Verkauf von Blumen und Krän-
zen eingeschränkt. Reduziert wurde sowohl die Anzahl jener Orte, an denen man
Blumen kaufen konnte, als auch die Zahl der Gewerbetreibenden, die rechtmä-
ßig Grabgestecke verkaufen durften.350 Das Aufstellen von Kerzen war im ersten
Kriegsjahr noch nicht verboten. Ein solches Verbot erteilte die Statthalterei erst
im Oktober 1916.351 Hierbei lässt sich prinzipiell festhalten, dass die steigende
Rohstoffverknappung erst mit der Zeit Einfluss auf den dramaturgischen Ablauf
religiöser Feste hatte. 1915 verbot beispielsweise die Statthalterei der Kirche, die
Straßen im Zuge ihrer Fronleichnamsprozession mit Heu und Gras zu bestreu-
en.352 In den ersten fünf Kriegsmonaten spielte der Faktor „Rohstoffmangel“ bei
der Durchführung der kirchlichen Feste aber noch keine große Rolle. Nichtsdes-
toweniger erschienen bereits im ersten Kriegsjahr die kirchlichen Festtage, wie
Allerheiligen und Allerseelen (2. November), in einem anderen Licht. Zudem
wurden die Verlustlisten immer länger (bis sie irgendwann nur mehr auszugs-
weise von den Zeitungen gedruckt wurden).353 Außerdem wurde die Errichtung
von Kriegerdenkmälern sowie Kriegergräbern zusehends gefordert. Nicht selten
schrieb man darüber in den Zeitungen, weswegen sich auf ihren Seiten mehrere
(und oft nicht realisierte) Vorschläge für ein „würdiges“ Soldatengedenken finden
ließen. Die ersten Ansätze der unterschiedlichen Denkmalbewegungen fielen zeit-
lich in den September 1914 und die Anzahl der Vorschläge stieg im Oktober an,
in: Grazer Mittags-Zeitung, 22.9.1914, 1, 2. Siehe auch die Kritik in der Arbeiter-Zeitung: Der
Vorschlag der Gräfin Mels-Colloredo, in: Arbeiter-Zeitung, 30.9.1914, 6.
347 Blumen zu Allerheiligen, in: Grazer Mittags-Zeitung, 21.10.1914, 3.
348 Statt Blumen zu Allerheiligen – Spenden für das Rote Kreuz?, in: Grazer Tagblatt, 30.9.1914
(2. Morgenausgabe), 5.
349 Allerheiligenverkehr, in: Grazer Mittags-Zeitung, 30.10.1914, 3.
350 Der Verkauf von Grabkränzen und Blumen zu Allerheiligen und Allerseelen, in: Arbeiterwille,
18.10.1914, 3.
351 Verbot der Gräberbeleuchtung in Steiermark, in: Arbeiterwille, 19.10.1916, 4.
352 Zur Fronleichnamsprozession, in: Grazer Mittags-Zeitung, 18.5.1915, 3.
353 Man beschränkte sich meistens auf die Toten, Verwundeten und Vermissten des 3.
Korps. Aufge-
listet wurden sämtliche Militärränge. In weiterer Folge druckten die Grazer Zeitungen die Listen
nur mehr sporadisch, vgl. nur: Verlustliste Nr. 331 (Schluß.), in: Arbeiterwille, 8.1.1916, 7.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453