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Infiltrierendes „Spinnennetz“ | 325
schuldig machten sich auch Frauen. Man kann sogar sagen, dass der erste „Spion“,
der infolge des Sarajevoer Attentats festgenommen wurde, eine Frau war.396 Grund
für ihre Verhaftung bot die Tatsache, dass sie sich auf einer Zugfahrt allzu auffällig
über etwaige Militäranlagen in der Region informierte. Hierbei handelte es sich
nicht um einen (publizierten) Einzelfall. Die Zeitungen berichteten regelmäßig
über ausländische Fälle, wo weibliche „Spione“ entkamen, drangsaliert wurden
und/oder verhaftet wurden.397 Zudem gab es in der Steiermark mehrere Frauen,
die letztendlich zu Unrecht als Spione angehalten wurden. Die zeitgenössische An-
nahme, dass quasi alle Frauen Spioninnen sein konnten, erfuhr freilich durch die
offiziellen k.
u.
k.
Kriegsmeldungen von serbischen „Partisaninnen“ eine Zunahme
an Brisanz. Diese Fälle – aus heutiger Sicht können diese hauptsächlich als Legen-
den abgetan werden – führten den Grazern und Grazerinnen vor Augen, dass es
nicht nur möglich war, dass Frauen Spione sein konnten, sondern dass serbische
Frauen und Mädchen bereits Bomben unter ihren Kleidern versteckten und so
unbemerkt Attentate auf die k. u. k. Armee begingen. Der Glaube, dass diese Fälle
auch in der Steiermark geschehen könnten, war weit verbreitet. Selbst die steiri-
schen Behörden warnten mehrmals explizit vor Spioninnen, die sich bereits in der
Steiermark aufhalten würden. Gemeinsam ist diesen Warnungen, dass die steiri-
sche Bevölkerung vor allem auf junge Frauen, die (in Zügen) militärbezogene Fra-
gen stellten, aufpassen sollte. Kurzum: „Diese Spioninnen, oft junge, hübsche und
elegant gekleidete Personen, drängen sich während der Bahnfahrt an die Truppen
heran, suchen die Herkunft und den Bestimmungsort der Transporte festzustellen,
die Truppenteile zu erfahren, den Ausbildungsgrad der Ersatzmannschaft zu er-
kundigen, die Gespräche zu belauschen, kurz, allerlei militärische Informationen
zu sammeln, deren Verrat für das eigene Heer von den schädlichsten Folgen sein
kann.“398 Bereits Anfang August erging an die Bevölkerung folgender beunruhi-
gender Aufruf:
„Nach zuverlässigen Nachrichten hält sich in unserer Monarchie eine große Anzahl sub-
versiver Elemente auf, die die öffentliche und staatliche Sicherheit in höchstem Grade
gefährden. Es geht darum die allgemeine Aufforderung, die amtlichen Organe aus pat-
riotischem Pflichtgefühl nach jeder Möglichkeit darin zu unterstützen, diese nach jeder
Richtung gefährlichen Elemente unschädlich zu machen. Durch rege Aufmerksamkeit
in dieser Hinsicht kann jedermann zum Erfolge und glücklichen Ausgang der staatli-
396 Diesen Fall erwähnte bereits: Moll (2001), 313 und (2007a), 178.
397 Vgl. auch: Falscher Patriotismus, in: Arbeiterwille, 13.8.1914 (Abendausgabe), 2.
398 Spionage durch Frauenspersonen auf Eisenbahnen, in: Grazer Mittags-Zeitung, 6.1.1915, 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453