Seite - 331 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Infiltrierendes „Spinnennetz“ | 331
der Fall „Maria-Rast/Ruše“ nahe Marburg (Maribor).429 Am 28. Juni 1914 fei-
erte dort der slowenische Sokolverein ein Fest. Aufgrund dubiöser Gerüchte und
Falschmeldungen verhafteten die Behörden in den darauffolgenden Wochen „ei-
nen beträchtlichen Teil der erwachsenen Einwohnerschaft“ dieser Gemeinde. Es
folgten monatelange Untersuchungen. Im Frühjahr 1915 wurden dann die Ver-
fahren gegen fast alle Beschuldigte eingestellt. Antislowenische Verhaftungswellen
gab es nicht nur in der Steiermark, sondern auch in Kärnten und in Krain (Dežela
Kranjska).430 Was die Steiermark betrifft, so lässt sich sagen, dass es im Gegensatz
zu Kärnten bei einer einmaligen „Aktion Scharf“ rund um den Kriegsbeginn 1914
blieb. In Kärnten kam es dagegen 1915 (Mai bis September) und 1916 (Februar bis
Juli) zu zwei weiteren Verhaftungswellen, bei denen zum Teil dieselben Personen
inhaftiert wurden, deren Unschuld sich bereits 1914 herausgestellt hatte.
Abseits der 100 (nachweisbaren) Grazer Verfahren wurden einige „slawische“
Vereine geschlossen. Die staatspolitische Überwachung durch die k. k. Polizei-
Direktion ergab, dass sich diese „slawischen“ (slowenischen, kroatischen usw.)
Vereine weder pazifistisch noch illoyal betätigt hatten.431 Dennoch empfahl am
24. Juli die Grazer Polizei dem Statthalter, dass im Falle eines Kriegs dutzende
Grazer Vereine sowie Presseorgane „eventuell eingestellt oder an besondere Be-
dingungen geknüpft werden“432 sollten. Unter den betreffenden Vereinen befanden
sich 23 „slavische“433 Vereine, zwei alldeutsche Vereine (Schönerianer und Heim-
statt), ein italienischer Verein sowie acht sozialdemokratische Vereine. Ein jüdi-
scher Verein wurde nicht genannt. Bei der Evaluierung der Druckschriften zeich-
nete sich ein ähnliches Bild ab. Als der Krieg kurze Zeit später ausbrach, gingen die
steirischen Behörden nur gegen die „slawischen“ Vereine vor. Insbesondere kann
hier das Vorgehen gegen die Sokol-, Cyrill- und Methodvereine genannt werden,
die ebenso wie die slowenischen Zeitungen, die slowenischen Pfarrer, die slowe-
nischen Studierenden oder die slowenischen Lehrer und Lehrerinnen als Speer-
spitzen der slowenischen („südslawischen“) Nationalbewegung galten. So wurden
einem Bericht des Grazer Polizei-Direktors Lothar Weyda von Lehrhofen zufolge
die Geschäfts- und Kassabücher sowie einige Schriften des slowenischen Turnver-
429 Die folgenden Sätze über die Steiermark und Kärnten basieren auf: Moll (2000a), 39, 41; (2002b),
282.
430 Zu den Verhaftungen in Krain (Dežela Kranjska): Bobič (2012), 29, 88, 135–139, 159
f., 159–164,
192, 226, 235.
431 Moll (2002b), 278.
432 Polizei-Direktion Graz an Statthalterei-Präsidium, 24.7.1914, in: StLA, Statt. Präs. E92c/444/1906
(1. Teil).
433 Ebd.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453