Seite - 335 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Ausschreitungen | 335
Ein anderer Vorfall endete damit, dass ein Soldat mit seinem Bajonett einem
Gastwirt in die Brust stach.447 Der Soldat konnte fliehen. Fälle, bei denen es „zwi-
schen Zivil und Militär zu argen Ausschreitungen“448 (im Sinne von Schlägereien
mit oder ohne Stichwaffen) kam, finden sich quer durch die Grazer Presse. Zudem
blieben diese Ereignisse nicht auf die ersten Kriegsmonate beschränkt. Im zweiten
Kriegsjahr verübte beispielsweise ein Infanterist „wegen Nichtbegleichung seiner
Zeche einen argen Exzeß, beschimpfte die Gastwirtin in unflätigster Weise, ver-
setzte ihr mehrere Ohrfeigen, daß sie heftig blutete, und warf sie schließlich zu
Boden.“449 Die um Hilfe gerufene „Wache machte dem Exzeß eine Ende und erstat-
tete gegen den Soldaten die Anzeige.“450 In anderen Fällen beließ es die Presse bei
der bloßen Feststellung, dass sich spät nachts in einem Kaffee- oder Gasthaus ein
Soldat mit einem Zivilisten geprügelt hatte. Einmal kolportierte die Grazer Mon-
tags-Zeitung auch, dass eine Zivilperson zusammengeschlagen wurde, weil sie zu-
vor einem jungen Mann, der „Hoch Österreich!“ gerufen hatte, „eine Ohrfeige
versetzte.“451 Weiter hieß es in dem Artikel: „Die erbitterte Menge stürzte über
[... den Mann] her und verprügelte ihn; es wäre ihm noch schlimmer ergangen,
wenn nicht gerade eine [... Militärpatrouille] des Weges gekommen wäre, die sich
des Gezüchtigten annahm.“ Hin und wieder schrieb die Presse, dass sich die ver-
hafteten oder zusammengeschlagenen Personen zur Wehr setzten oder dass diese
zuvor anderen Zivilpersonen oder Soldaten Gewalt androhten. So tätigte beispiels-
weise ein Knecht in einem Eggenberger Gasthaus „Äußerungen“, die der Presse
zufolge „alles eher als patriotisch waren“.452 Als er vom Wirten und einigen Gästen
„zurecht[ge]wiesen“ wurde, fing er an, sie zu bedrohen.453 Am Ende wurde er ver-
haftet. Was hier unter Bedrohung zu verstehen ist, ist unklar. Manchmal blieb es
bei einer Verbalattacke, in anderen Fällen griff man zum Messer oder, wie im Falle
der Soldaten, zum Bajonett. Der Arbeiterwille nahm diese Auseinandersetzungen
und Ausschreitungen oft zum Anlass, die bürgerliche Presse und ihre kriegschau-
vinistische Schreibweise zu kritisieren. Regelmäßig missbilligte er (gleichwohl er
selber kriegschauvinistische Artikel publizierte), dass „es keine einzige bürgerliche
447 Mit einem Bajonettstich bezahlt, in: Arbeiterwille, 29.10.1914 (Abendausgabe), 3. Vgl. auch: Ein
Bajonettstich für die Zeche, in: Grazer Tagblatt, 29.10.1914 (Abendausgabe), 3.
448 Der gemütliche Alkohol!, in: Arbeiterwille, 7.12.1914 (Abendausgabe), 3.
449 Exzeß, in: Arbeiterwille, 18.5.1915 (Abendausgabe), 2.
450 Ebd.
451 Der gestrige Tag, in: Grazer Montags-Zeitung, 27.7.1914, [ohne Seitenangabe].
452 Kein Freund des Vaterlandes, in: Grazer Volksblatt, 5.9.1914 (12-Uhr-Ausgabe), 3. Vgl. auch:
Eggenberg. (Verhaftung.), in: Grazer Vorortezeitung, 6.9.1914, 3.
453 Kein Freund des Vaterlandes, in: Grazer Volksblatt, 5.9.1914 (12-Uhr-Ausgabe), 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453