Seite - 342 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen342
„Am Vormittag den [... 27. Juli] war am Färberplatz das vollständig unwahre Gerücht
verbreitet, ich hätte mich abfällig über die Monarchie geäußert und ich hätte die Politik
Serbiens gepriesen. Mir ist es bisher nicht gelungen, den Verbreiter dieser falschen Nach-
richt auszuforschen. Ich warne aber jedermann, den Inhalt dieses Gerüchts weiterzuver-
breiten, da ich gegen jeden, der derartige Behauptungen aufstellt oder weiterverbreitet,
mit der Ehrenbeleidigungsklage vorgehen müßte. Ich bin ungarischer Staatsbürger, habe
im 61.
Inf.-Reg. gedient und wäre es mir nicht im Traum eingefallen, Aeußerungen über
unsere Monarchie zu machen.“486
Die Presse kritisierte die Demonstrationen scharf. Das Tagblatt meldete darüber
hinaus, dass die „deutsche Bevölkerung“ in Frohnleiten, wo der Selcher ebenfalls
ein Geschäft besaß, diesem mit „voller Wertschätzung“ entgegentrat, zumal er sich
bei „vielen deutschen Schutzvereinsfesten [...] stets opferwillig und entgegenkom-
mend gezeigt“ hatte.487 Er ist, so das Tagblatt erneut, „ungarischer Staatsbürger
und hält treu zu unserer Monarchie.“488 Der Vorfall endete mit einer „Gerichts-
verhandlung, bei der sich verschiedene Geschäftsleute aus dieser Gegend“ – so die
Parteinahme des Arbeiterwillens – „zu einer Abbitte bequemen mußten.“489 Des
Weiteren lässt sich ein Fall nachweisen, wo man dem Friseur Veselin Wujkovic
(auch Wujkovitz geschrieben) „wiederholt“490 drohte, dass man sein Geschäft in
der Stempfergasse zerstören werde, weil er angeblich ein „Reichsserbe“ sei.491 Be-
gonnen hatte alles mit einer Anzeige von Franz Paschek (auch Pasek geschrieben).
Paschek war der ehemalige Inhaber besagten Friseurladens. Er ging zur Polizei
und gab dort kund, dass Veselin Wujkovic, sein ehemaliger Mitarbeiter und nun-
mehriger Besitzer des Friseurladens, höchstwahrscheinlich ein serbischer Spion
sei.492 Immerhin würde er sich verdächtig verhalten. Schließlich verkehre Wujko-
vic oft mit serbischen Studenten, flüstere im Laden mit Serben und verfüge danach
immer über „massenhaftes“493 Geld. Ferner halte er in serbischen Vereinen Reden
und würde serbische Zusammenkünfte in seiner Wohnung und in der Wohnung
des Schneiders Zabo Lasic abhalten. Außerdem hätte Wujkovic bereits vierzehn
486 Warnung! [Annonce], in: Grazer Volksblatt, 28.7.1914, 8.
487 Grundlos verfolgt, in: Grazer Tagblatt, 31.7.1914 (Abendausgabe), 3.
488 Ebd.
489 Blinde Hetze gegen angebliche Serbenfreunde, in: Kleine Zeitung, 19.8.1914, 6.
490 Ein bedrohter Friseur, in: Grazer Tagblatt, 28.7.1914 (Abendausgabe), 4.
491 Der Vorfall rund um den Friseur Veselin Wujkovic fußt auf: Der Geschäftsneider als Auskunfts-
person, in: Arbeiterwille, 15.11.1914, 9; Der vermeintliche Spion, in: Grazer Tagblatt, 15.11.1914
(2. Morgenausgabe), 5.
492 Der Geschäftsneider als Auskunftsperson, in: Arbeiterwille, 15.11.1914, 9.
493 Ebd.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453