Seite - 345 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Demonstrationen vor Geschäften | 345
Presse den weit verbreiteten Glauben, dass überall „subversive“ Elemente auf den
Grazer Straßen seien, mitkreierte. Und so finden sich in den ersten Kriegsmona-
ten weiterhin viele „Warnungen“ und gerichtlich verordnete „Ehrenerklärungen“
in den Annoncenteilen der Presse. Sie alle zeigen, dass viele Steirerinnen und Stei-
rer die von anderen „Landsleuten“ unternommene (subjektive) Einheitsprüfung
nicht bestanden haben. Im Folgenden möchte ich nur einige Beispiele nennen, die
ich alle den Annoncenteilen entnommen habe.503 In Graz entschuldigte sich Rosa
Faßwald bei einer Frau „wegen der angetanen, groben Beschimpfungen“ und ver-
pflichtete sich ferner, dem Roten Kreuz ein Betrag von 40 Kronen zu spenden. Die
Hebamme Marie Sacherer aus Fohnsdorf warnte davor, dass man auf ihren Namen
Waren oder Geld gebe oder etwas anfertige, da sie für niemanden zahlen werde.
Johann Slavnitsch, Bäckermeister in Gratwein, warnte jedermann, dass man über
ihn falsche Gerüchte verbreite, zumal er nachweislich ein österreichischer Staats-
bürger und somit kein Serbe sei. Ein Mann und eine Frau aus Krieglach warnten
davor, einer Person namens Anton Klug auf ihren Namen Geld oder Geldwert zu
verabfolgen, da sie für nichts und niemanden Zahler und Zahlerin wären. Der
Gastwirt Franz Stelzer aus Spielfeld stellte klar, dass er den Soldaten keine zu ho-
hen Preise verrechne, weswegen er auch davor warnte, dass man Gegenteiliges be-
haupte. Der Magazinmeister Alois Cesarec warnte jedermann in Kapfenberg, dass
man keine Vermutungen mehr gegen ihn aussprechen sollte und ihn nicht denun-
zieren sollte. Marie Rauter aus Judenburg entschuldigte sich dafür, dass sie einen
bestimmten Mann „Gesindel“ und „Bagage“ genannt hatte. Im Raum Deutsch-
landsberg entschuldigten sich Lea und Alois Hasewend bei Leopold Leithner,
Pfarrvikar von St.
Oswald (in Freiland), dass sie das Gerücht verbreitet hatten, der
Pfarrvikar habe sich „unpatriotisch“ geäußert. Der Mühlpächter Franz Kerchnawe
aus Arndorf entschuldigte sich dafür, dass er einem anderen Mann ein „unehren-
haftes“ Verhalten unterstellte. Die Pächterin Therese Pesserl aus dem Raum Voits-
berg entschuldigte sich dafür, dass sie ein Gerücht über eine Realitätenbesitzerin
503 Die folgenden Beispiele basieren zur Gänze auf: Ehrenerklärung [Annonce], in: Grazer Volks-
blatt, 7.8.1914, 8; Warnung [Annonce], in: Arbeiterwille, 16.12.1914, 8; Warnung [Annonce],
in: Arbeiterwille, 27.7.1914, 8; Warnung! [Annonce], in: Arbeiterwille, 23.8.1914, 11; Erklä-
rung [Annonce], in: Grazer Volksblatt, 2.8.1914, 12; Warnung [Annonce], in: Grazer Tagblatt,
27.8.1914, 8; Ehrenerklärung [Annonce], in: Arbeiterwille, 6.12.1914 (2. Ausgabe), 13; Ehrener-
klärung [Annonce], in: Grazer Volksblatt, 27.9.1914, 14; Erklärung [Annonce], in: Arbeiterwille,
13.12.1914, 15; Ehrenerklärung [Annonce], in: Arbeiterwille, 13.12.1914, 16; Ehrenerklärung
[Annonce], in: Arbeiterwille, 15.12.1914, 7; Ehrenerklärung [Annonce], in: Grazer Tagblatt,
4.10.1914 (2. Morgenausgabe), 21; Ehrenerklärung [Annonce], in: Grazer Tagblatt, 30.10.1914
(2. Morgenausgabe), 10; Erklärung und Warnung! [Annonce], in: Grazer Volksblatt, 12.8.1914,
8; Schulden [Annonce], in: Grazer Volksblatt, 27.8.1914, 8.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453